Destination Tax – Die amerikanischen Steuerpläne und ihre Folgen für Europa

Prof. Dr. Joachim Englisch, Geschäfts-führender Direktor des Instituts für Steuerrecht / Prof. Dr. Johannes Becker, Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft, beide Universität Münster

Die republikanische Mehrheit im United States House of Representatives strebt eine radikale Reform der amerikanischen Unternehmensbesteuerung an. An die Stelle einer Besteuerung von Bilanzgewinnen, die international anhand der traditionellen Kategorien Quellenstaat und Ansässigkeitsstaat aufgeteilt werden, soll eine Cash-Flow-Steuer treten, die hinsichtlich der internationalen Abgrenzung des Steuerzugriffs dem Vorbild der Mehrwertsteuer folgt. Ein Kernelement des Entwurfs ist daher ein steuerlicher Grenzausgleich (Border Tax Adjustment), der Importe auf Bruttobasis besteuert, Exporte hingegen bei unverminderter Gewährung eines Abzugs für lokale Produktionskosten steuerfrei stellt. Mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hat der Vorschlag nunmehr eine echte Umsetzungschance. Während die Debatte um die sogenannte Destination-Based Cash-Flow Tax (DBCFT) zurzeit vor allem auf die Konsequenzen für die amerikanische Ökonomie fokussiert, stellt sich aus europäischer Sicht die drängende Frage, welche Folgen die DBCFT-Einführung für europäische Unternehmen, Steuereinnahmen und Produktionsstandorte bzw. Arbeitsplätze hätte. 

Keine durchgängige Benachteiligung ausländischer Marktteilnehmer

Bei oberflächlicher Betrachtung scheint das neue System eine erhebliche Benachteiligung für ausländische Anbieter auf dem amerikanischen Markt und eine Bevorzugung amerikanischer Exporte zu implizieren – und entspricht damit Trumps Bekenntnis zum Abbau des US-Handelsdefizits und zur Stärkung des heimischen Produktionsstandorts. Importe in die USA werden voll besteuert, ohne dass ein Abzug der Arbeitskosten gewährt wird, wie ihn die amerikanischen Anbieter in Anspruch nehmen können; Exporte amerikanischer Unternehmen würden von der Steuer freigestellt. Doch der Anschein trügt: trotz der offensichtlichen statutorischen Ungleichbehandlung im Steuersystem, führt ein DBCFT nicht unbedingt zu Handelsverzerrungen. Das Border Tax Adjustment hat nämlich nach allgemeinen handelsökonomischen Erkenntnissen Anpassungen im allgemeinen Preisniveau bzw. im Wechselkurs zur Folge, die ausländische Anbieter für die Steuer entschädigen: der Dollar würde beispielsweise so stark aufgewertet (oder die Preise in den USA würden so stark steigen), dass die Erlöse nach amerikanischer Besteuerung konstant bleiben würden. Dies gilt auch bei einseitiger Einführung des neuen Steuersystems in den USA.

Zusammenwirken von DBCFT-System und quellenstaatsbasierten Steuersystemen kann zu Problemen führen

Hingegen entstehen Probleme durch die Koexistenz der DBCFT mit den klassischen quellenstaatsbasierten Steuersystemen in Europa und anderswo auf der Welt. Intuitiv nachvollziehen lässt sich dies, wenn man sich vor Augen hält, dass die Reformpläne effektiv auf die Einführung einer Art Mehrwertsteuer bei gleichzeitiger Entlastung des Faktors Arbeit hinauslaufen; die klassische Unternehmensbesteuerung wird abgeschafft, aber aus Sicht des internationalen Steuerrechts wird gleichwohl die Fassade einer Körperschaftsteuer aufrechterhalten. Vor allem für Unternehmen, die Standorte in beiden Wirtschaftsräumen haben, könnte dies gravierende Wirkungen haben.

In der Tendenz unterschiedliche Auswirkungen bei reinen Exporteuren und Multinationals

Europäische Multinationals gehören dabei tendenziell zu den Profiteuren, amerikanische Konzerne – überraschenderweise – zu den Verlierern der Reform. Der Grund ist, dass ein DBCFT-System ausschließlich die übernormalen Gewinne einheimischer Investoren besteuert. Europäische Investoren mit Niederlassungen in den USA würden anders als bislang effektiv von der amerikanischen Steuer freigestellt (wohlgemerkt zahlen sie zwar Steuern, werden aber durch Preiserhöhungen oder Währungsaufwertung effektiv dafür kompensiert). Je nach Verrechnungspreisgestaltung bleibt aber ihre europäische Steuerlast evtl. unverändert, womit sich dann ihre Gesamtsteuerlast verringern würde. Umgekehrt müssen amerikanische Konzerne, obwohl sie bereits auf ihre weltweiten Gesamtgewinne in den USA Steuern zahlen (erneut vor allem effektiv über Preisanpassungen und nicht durch nominale Steuerlasten) zusätzlich in Europa Steuern entrichten, die in den USA weder anrechenbar noch abziehbar sind. Die unilaterale Einführung verschafft europäischen Konzernen gegenüber amerikanischen also auf beiden Märkten einen Wettbewerbsvorteil. Ob dies dem amerikanischen Präsidenten bewusst ist, mag man bezweifeln.

Europäische Exporteure hingegen werden potenziell negativ betroffen. Zwar werden auch sie durch die Aufwertung der Erlöse für die DBCFT entschädigt. Da aber durch die Aufwertung auch ihre europäische Steuerlast steigt (vielfach gehen die höheren Brutto-Erlöse in die Bemessungsgrundlage ein) steigt die effektive Steuerlast, ohne dass das Einkommen nach US-Besteuerung gestiegen wäre.

Verlagerung der realen Wertschöpfung in die USA?

Vielleicht die gravierendste Folge einer DBCFT-Einführung wären die deutlich gestiegenen Anreize, die (ja nur noch in Europa relevanten) Verrechnungspreise zu manipulieren bzw. reale Wertschöpfung in die USA zu verlegen, um der europäischen Besteuerung zu entgehen. Dies ist aus Unternehmenssicht lohnenswert, weil die Besteuerung in den USA nicht vom Standort der Wertschöpfung abhängt. Ein verlagerter Euro Wertschöpfung spart dem Unternehmen also in Deutschland ca. 30 Cents – damit herrschen die gleichen Anreize wie zur Zeit vis-a-vis einer Steueroase mit einem Grenzsteuersatz von Null.

Handlungsoptionen der EU und ihrer Mitgliedstaaten

Wenn die EU nicht den USA folgen und eine DBCFT einführen will – und dafür spricht zurzeit nur wenig –, könnte sie doch Anpassungen ins Auge fassen, um die teilweise schweren Verzerrungen abzumildern. Die Mehrbelastung europäischer Exporteure könnte kurzfristig durch die Anrechnung amerikanischer DBCFT-Zahlungen auf die europäische Steuerschuld neutralisiert werden; dies ließe sich ohne weiteres in die bestehenden GK(K)B-Vorschläge integrieren. Ein grundlegenderer Ansatz bestünde darin, die quellenstaatsbasierte Haig-Simons-Unternehmensbesteuerung schrittweise abzubauen sowie damit korrespondierend die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer zu verbreitern. Damit würde eine DBCFT gleichsam simuliert, wenn zusätzlich der Faktor Arbeit unter Orientierung am Mehrwertsteuersatz eine Entlastung von Steuern (oder Sozialabgaben) erfahren würde.

Fazit

Einstweilen bleibt abzuwarten, ob die USA die DBCFT einführen werden oder nicht. Präsident Trump hat sich in jüngster Zeit widersprüchlich geäußert – anfängliche Begeisterung ist zunehmenden Zweifeln gewichen, die Reform könnte zu kompliziert sein und die resultierende Dollaraufwertung könnte negative Nebenwirkungen haben. Führende Republikaner halten an der Reform aber nach wie vor fest, und man sollte angesichts der Entwicklungen und Rhetorik der letzten Wochen auch nicht darauf vertrauen, dass der Kongress oder gar Präsident Trump sich durch welthandelsrechtliche Bedenken, gegenläufige DBA-Verpflichtungen oder das BEPS-Projekt der OECD von ihrem Vorhaben abhalten ließen. Deutschland und Europa sollten daher schon jetzt Vorsorge treffen und Pläne entwickeln, wie auf eine solche Reform zu reagieren wäre.

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