Die Erbschaftsteuer, deren Reformierung wie Modernisierung kommt nicht zur Ruhe. Längst wäre sie daher auch als Thema in die TV-Talkrunden der Nation eingezogen: Allein, es stehen naturgemäß nicht alle in einem Erbfall Verwickelte und davon Betroffene zur Verfügung. „Der steueroptimale Tod“ – wie es ein Wiener Kollege so unnachahmlich schön formulierte – wäre ansonsten ein mehr als abendfüllendes Thema.
Der Steuergesetzgeber ist bei der Erbschaftsteuer schon lange Getriebener, seit Ende Juli diesen Jahres wird er gar zum Gehetzten: Nach Vorgaben des BVerfG aus dem Jahr 2006 musste das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz wegen verfassungswidriger Bewertungsmaßstäbe geändert werden (Beschluss vom 7. 11. 2006 – 1 BvL 10/02, DB 2007 S. 320). Dieser zwingenden Auflage ist der Gesetzgeber – angesichts des drohenden Wegfalls der Erbschaftsteuereinnahmen – mit Mühe und Not noch zum 31. 12. 2008 nachgekommen. Die seinerzeit politisch erzeugte Eile ließ die Verantwortlichen nahezu jeden Expertenrat in den Wind schlagen. Die Folge: Das neue Erbschaftsteuergesetz gelangte umgehend wieder in die Reparaturwerkstatt des Gesetzgebers ebenso wie vor die Schranken der Gerichtsbarkeit. Nachbesserungen im Jahressteuergesetz 2009 sowie im (geplanten) Jahressteuergesetz 2010 sollen die schlimmsten Mängel beseitigen helfen.
Gehetzt aber wird der Steuergesetzgeber nunmehr durch den Beschluss des Verfassungsgerichts vom 21. 7. 2010 (1 BvR 611/07, DB 2010 S. 1863): Nach diesem Beschluss sind zentrale Vorschriften des (alten) Erbschaftsteuergesetzes seit 2001 insoweit verfassungswidrig, als sie Ehepartner einerseits und nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz verpartnerte Paare unterschiedlich – und damit diskriminierend – behandelt. In kristallklarer Sprache arbeitet der BVerfG-Senat seine grundlegenden Betrachtungen und Begründungen heraus: Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber zum Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG). Schon in einem Beschluss in 2009 aber hat das Verfassungsgericht fast maliziös darauf hingewiesen, dass diese Verfassungsnorm es nicht rechtfertigt, die der Ehe vergleichbaren Lebensformen undifferenziert zu benachteiligen (Beschluss vom 07.07.2009, BVerfGE 124 S. 226 = DB 2009 S. 2441).
Die Erbschaftsteuer ist in Deutschland als Erbanfallsteuer ausgestaltet, d. h. sie erfasst die Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Erben. Ein Tatbestand, der in stammtischnahen Diskussionen gerne übersehen wird, wenn von der Besteuerung „bereits besteuerten Vermögens“ das Wort geredet wird. Hilfreich wie zutreffend stellt daher das höchste deutsche Gericht fest: „Der Vermögenszuwachs durch einen Erbfall stellt sich beim Ehegatten nicht anders dar als bei einem Lebenspartner“. Die Familie, namentlich das potenzielle oder tatsächliche Vorhandensein von (ehelichen, außerehelichen oder adoptierten) Kindern spielt bei der streitigen Gewährung besonderer Freibeträge ebenso keine Rolle wie bei einer Begünstigung beim Steuertarif. „Das geltende Recht macht … die Privilegierung der Ehe nicht vom Vorhandensein gemeinsamer Kinder abhängig, sondern differenziert bei der Höhe des Freibetrages nicht zwischen kinderlosen Ehen und solchen, aus denen Kinder hervorgegangen sind.“
Der zuletzt zitierte Satz aus dem Beschluss des 1. Senats muss als Sprengsatz für den Steuergesetzgeber bezeichnet werden: Er ist ohne Einschränkung auf die insoweit vergleichbare Privilegierung von Ehepartnern im Einkommensteuerrecht, namentlich durch die Gewährung des Splittingverfahrens nach § 26 b EStG, anzuwenden. Da keine spezifischen Unterschiede hinsichtlich dieser Steuernorm im Vergleich zu den ebenfalls tarifbezogenen Kritikpunkten bezüglich der Erbschaftsteuer erkennbar sind, muss der Steuergesetzgeber nicht nur – rückwirkend – alle vergleichbaren Erbschaftsteuerfälle seit 2001 wegen der festgestellten Diskriminierung – neu regeln und entsprechend steuerlich gleich behandeln. Er muss – m. E. (spätestens) mit Wirkung für den Veranlagungszeitraum 2010, ggf. rückwirkend für alle zumindest noch offenen Steuerveranlagungen auch auf verpartnerte Personen das Splittingverfahren als Regelverfahren zwingend anwenden. Eine bereits anstehende, diesbezügliche Klage vor dem BVerfG wegen einkommensteuerlicher Diskriminierung ist m. E. damit in der Sache hinfällig, das BVerfGE kann unter Bezug auf seine Ausführungen in dem Beschluss vom 21. 7. 2010 insoweit zu keinem anderen Ergebnis kommen.
Aktuelle, kurzschließende Stellungnahmen von Länderfürsten und Generalsekretären kommt der Charakter des berühmten Rufens im dunklen Wald zu: Hinsichtlich der verfassungsgerichtlichen Würdigung ist eben nicht zwischen einmaligen und periodisch anfallenden Steuern zu differenzieren. Auch der Umfang der zu „befürchtenden“ Steuerausfälle kann hier nicht bemüht werden: Bei derzeit rund 19.000 verpartnerten homosexuellen oder lesbischen Paaren – mit einem vermutlichen hohen Anteil an Doppelverdienern – kann eine gravierende „Haushaltsgefährdung“ ausgeschlossen werden. Selbst die deutlich weitergehende Rückwirkung bei der nunmehr zwingend geforderten Neuordnung der Erbschaftsteuer erlaubt nach Auffassung das BVerfG keine solche Einschränkung: „Eine Gefährdung der geordneten Finanz- und Haushaltsplanung durch die rückwirkende Besserstellung eingetragener Lebenspartner im Erbschaft- und Schenkungssteuerrecht zum August 2001 kommt angesichts der zu erwartende geringen Zahl der hiervon betroffenen Fälle offensichtlich nicht in Betracht“.
Die gute Nachricht: Alle verpartnerten Paare sollten – jeder für sich – die Zusammenveranlagung bei Abgabe ihrer Einkommensteuererklärungen beantragen, nach Ablehnung durch die Finanzbehörden Widerspruch einlegen und damit ihren Fall „offen halten“. Die schlechte Nachricht: Wegen des „Splittingvorteils“ – bei Eignung – in die Verpartnerung zu stürmen, ist ein ebenso schlechter Rat, wie er dies für heterosexuelle Paare schon immer war. Ein Steuersparmodell ist das Splitting nicht, Tax und Sex passt nicht auf den gleichen (Bier-)Deckel.