Als „schwere Niederlage für die Regierung“ und „späten Sieg der Atomkonzerne“ (handelsblatt.de vom 07.06.2017), „Milliardenerfolg für die Atomkonzerne“ (süddeutsche.de vom 07.06.2017) oder „Schäubles Steuer-GAU“ (faz.net vom 08.06.2017) bezeichnete die Presse den kürzlich veröffentlichten Beschluss des BVerfG vom 13.04.2017 (2 BvL 6/13, RS1241165; vgl. dazu Müller, DB 2017 S. 1417). Damit beurteilte das Verfassungsgericht die Kernbrennstoffsteuer – häufig als Brennelementesteuer bezeichnet – mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes als verfassungswidrig. Das Gericht erklärte die Steuer nicht nur für mit dem Grundgesetz unvereinbar, sondern zugleich auch für nichtig. Die Erhebung der Steuer erfolgte damit von Anfang an ohne eine wirksame gesetzliche Grundlage. Für den Bund ist diese Entscheidung deshalb teuer; die wenigen Betreibergesellschaften von bundesweit zuletzt acht Kernkraftwerken freuen sich über die Rückzahlung der Steuer (das Steueraufkommen betrug insgesamt 6,285 Mrd. €) sowie über Erstattungszinsen in Höhe von 6% jährlich. Der Bundesfinanzminister ließ bereits verlauten, den Betrag aus dem laufenden Haushalt zurückzahlen zu können, die schwarze Null sei nicht in Gefahr (deutschlandfunk.de vom 07.06.2017).
Besteuerung des Einsatzes von Brennelementen
Die Kernbrennstoffsteuer entstand durch den Einsatz von Brennelementen oder einzelnen Brennstäben in einem Kernreaktor im Zeitraum von 2011 bis 2016. Ihre Einführung war verbunden mit der Entscheidung der damaligen Regierungskoalition zur Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke im Jahr 2010 – also vor dem Unfall in Fukushima. Die Befristung bis 2016 war von vornherein vorgesehen. Geschuldet wurde die Steuer von den Betreibergesellschaften. Der Bundesgesetzgeber stützte seine Gesetzgebungskompetenz auf den Charakter der Steuer als Verbrauchsteuer. Diese Kompetenz war allerdings von Anfang an umstritten. Erhebliche verfassungsrechtliche Einwände dagegen erhob an dieser Stelle bereits vor ihrer Einführung Birk (Steuerboard vom 21.07.2010).
Kernbrennstoffsteuer ist keine Verbrauchsteuer
Nach dem Grundgesetz hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz für Verbrauchsteuern (Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG). Nach Auffassung des BVerfG ist die Kernbrennstoffsteuer aber keine Verbrauchsteuer. Diese definiert das Gericht so: Der Typus der Verbrauchsteuer umfasst Steuern, die nach ihrem Regelungskonzept den Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs durch den privaten Endverbraucher belasten sollen und aufgrund eines äußerlich erkennbaren Vorgangs (regelmäßig das Verbringen des Verbrauchsgutes in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr) von demjenigen als Steuerschuldner erhoben werden, in dessen Sphäre sich der Vorgang verwirklicht.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichts scheitert die Kernbrennstoffsteuer bereits an der ersten Voraussetzung. Schon nach dem Konzept des Gesetzgebers selbst sei die Steuer gar nicht auf Überwälzung auf den privaten Endverbraucher angelegt gewesen. Mit einer Auswirkung auf die Stromkosten habe der Gesetzgeber selbst nicht gerechnet. Dagegen spreche auch, dass der Steuertatbestand an die Verwendung des Kernbrennstoffes und nicht an den produzierten Strom anknüpfe. Wenn der Gesetzgeber also selbst bereits nicht an die Überwälzung auf die Verbraucher glaubt, kommt es auf die tatsächliche Abwälzbarkeit der Steuer auch nicht mehr an.
Es entspreche auch nicht dem Bild einer typischen Verbrauchsteuer, ein reines Produktionsmittel wie ein Brennelement zu besteuern, das einer konsumtiven Nutzung durch private Endverbraucher gar nicht zugänglich sei. Damit könne nicht auf die private Einkommensverwendung zugegriffen werden, wie es aber für eine Verbrauchsteuer typisch sei. Zur Erläuterung zieht das BVerfG einen Vergleich zu typischen Verbrauchsteuern aus der deutschen Steuerrechtsgeschichte heran und verdeutlicht die Unterscheidung etwa am Beispiel der kaiserzeitlichen Maischebesteuerung (Besteuerung eines Produktionsmittels) und der späteren Biersteuer (als typische Verbrauchsteuer). Zwar könne in Ausnahmefällen auch die Anknüpfung an ein reines Produktionsmittel zulässig sein, etwa wenn dieses körperlichen Eingang in den produzierten elektrischen Strom finde oder dies erforderlich sei, um ein Umgehungs- oder Ausweichverhalten der Steuerpflichtigen auszuschließen. Einen solchen Ausnahmefall verneint das Gericht jedoch für die Kernbrennstoffsteuer. Im Ergebnis lässt sich die Kernbrennstoffsteuer ohne die typischen Merkmale einer Verbrauchsteuer nicht mehr von der Besteuerung unternehmerischer Tätigkeiten im Übrigen abgrenzen.
Gesetzgeber hat kein Recht zur Erfindung weiterer Steuern
Eine andere Kompetenzgrundlage für das Kernbrennstoffsteuergesetz außer derjenigen für Verbrauchsteuern stand dem Bund nach Auffassung des BVerfG nicht zu. Denn die Befugnis zur Einführung weiterer Steuern bestehe ausschließlich für die im Grundgesetz (Art. 106 GG) genannten Steuern und Steuerarten (darunter Verbrauchsteuern). Darüber hinaus bestehe kein Recht zur Erfindung weiterer Steuern, weder für den Bund noch für die Länder. Denn die speziellen Regelungen der Finanzverfassung über die Gesetzgebungs- und Ertragskompetenzen für Steuern bilden nach Auffassung des Gerichts ein geschlossenes System, das Unsicherheiten und Verschiebungen zwischen Bund und Ländern durch Einführung weiterer Steuern und Steuerarten nicht verträgt. Diese (Mehrheits-)Auffassung blieb im entscheidenden Senat allerdings nicht ohne Widerspruch. So äußerten die Richter Huber und Müller in einer abweichenden Meinung zu dem Beschluss ihre Überzeugung, der Gesetzgeber habe sehr wohl das Recht zur Erfindung weiterer Steuern. Der Bundesgesetzgeber benötige dazu jedoch die Zustimmung des Bundesrates. Diese lag im Falle des Kernbrennstoffsteuergesetzes nicht vor. Daher hält auch die abweichende Meinung das Gesetz für verfassungswidrig, lässt aber im Übrigen dem Gesetzgeber einen wesentlich größeren Spielraum zur Einführung neuer Steuern.
Rückzahlung der Steuer zuzüglich Zinsen
Verfassungswidrige Steuergesetze erklärt das BVerfG bei einer erheblichen Gefährdung der staatlichen Finanzstabilität (nur) für mit dem Grundgesetz unvereinbar und beschränkt die Auswirkungen der Verfassungswidrigkeit auf die Zukunft. Dies hielt das Gericht im Falle der Kernbrennstoffsteuer nicht für erforderlich und erklärte das verfassungswidrige Gesetz zugleich auch für nichtig. Denn die Einführung der Kernbrennstoffsteuer sei für den Gesetzgeber von Anfang an mit erheblichen verfassungsrechtlichen Unsicherheiten verbunden gewesen. Die Nichtigkeit des Gesetzes führt rückwirkend zur Rechtswidrigkeit sämtlicher Steuererhebungen. Da die (wenigen) Betreibergesellschaften im Hinblick auf diese Aussicht sämtliche Steuererhebungen angefochten haben dürften, muss der Bund wohl das gesamte Steueraufkommen der Kernbrennstoffsteuer erstatten. Die Steuer wird dadurch nicht nur zu einem Nullsummenspiel für den Bund. Noch teurer wird der Beschluss des BVerfG, weil Erstattungszinsen anfallen, zumindest seit Erhebung der jeweiligen Klagen. Diese liegen aufgrund des festen gesetzlichen Zinssatzes von 6% jährlich weit über den Marktzinsen. Die „Steuer“ wird dadurch zu einer – unfreiwilligen – Geldanlage der Betreibergesellschaften beim Bund. Die Veröffentlichung des Beschlusses ließ denn auch die Aktienkurse der betroffenen Unternehmen steigen.