Die mit großer Spannung erwartete, am 04.04.2018 veröffentlichte BFH-Entscheidung I R 58/15 (DB 2018 S. 804) kann große praktische Bedeutung haben – so hoffen die einen und befürchten die anderen. Nach der Entscheidung mag das Schicksal des § 50d Abs. 3 EStG „auf dem Spiel stehen“. Bestenfalls droht „nur“ dessen Verschärfung? Vielleicht öffnete der BFH aber auch die Schleusen in ein ganz anderes Fahrwasser.
BFH: Rechtskenner und Steuergestalter zugleich
Der BFH gibt mit seinem Urteil I R 58/15 (DB 2018 S. 804) Hinweise dazu, wie ausländische Kapitalgesellschaften die deutsche, von Inlandsdividenden einbehaltene 25%-ige Kapitalertragsteuer auf rd. 1,5% reduzieren bzw. die Differenz zwischen 25% und 1,5% erstattet bekommen können. Man muss kein Experte sein: das ist für die Praxis der Besteuerung von Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht ein bedeutsamer Hinweis – so auch die Pressemitteilung des BFH. Auch wenn das Urteil im Ergebnis der aktuellen Rechtslage entspricht, wird es sicher eine Flut von Reaktionen im Schrifttum auslösen und möglicherweise auch den Gesetzgeber auf den Plan rufen.
Wiederbelebung totgeglaubter Steuerparadiese?
Das Urteil ist vor allem auch deshalb bemerkenswert, weil auf den ersten Blick ausgerechnet in Nicht-DBA-Staaten (dazu zählen – wie im Streitfall – nicht nur Chile, sondern u.a. auch Cayman Island, Bermuda und andere sonnige Staaten) ansässige Kapitalgesellschaften durch die Zwischenschaltung einer bloß gewerblich geprägten, deutschen Personengesellschaft zu profitieren scheinen. Das wiederum ausgerechnet dann, wenn diese ausländischen Kapitalgesellschaften passiv tätig sind, jedenfalls keinen eigenen aktiven Geschäftsbetrieb unterhalten, welchem von einer zwischengeschalteten deutschen, mit Kapital ausgestatteten Personengesellschaft erworbene Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften unter wirtschaftlichen Veranlassungsgesichtspunkten vorrangig zugerechnet werden könnten.
Mit Substanz oder substanzlos: der Untergang von § 50d Abs. 3 EStG?
Man kann es auch anders und etwas überspitzt ausdrücken: Je „substanzloser“ die ausländische Kapitalgesellschaft ist, desto eher kommt offenbar eine Reduzierung der 25%-igen deutschen Kapitalertragsteuer in Betracht. Das wiederum führt zu interessanten Folgefragen:
- Sind die Tage von § 50d Abs. 3 EStG gezählt? Nach dieser Vorschrift kommt in Konstellationen, in denen eine in einem DBA-Staat ansässige Kapitalgesellschaft Inlandsdividenden direkt bezieht, eine Reduzierung der 25%-igen Kapitalertragsteuer nur in Betracht, wenn die ausländische Kapitalgesellschaft ausreichend Substanz nachweisen kann.
- Sind Nicht-DBA-Sachverhalte nunmehr günstiger als DBA-Sachverhalte?
- Sollen bzw. müssen in DBA-Staaten ansässige Anteilseigner inländischer Kapitalgesellschaften für den Erwerb von Inlandsbeteiligungen bzw. den Bezug von Inlandsdividenden Kapitalgesellschaften in Nicht-DBA-Staaten und zusätzlich eine bloß fiktiv gewerbliche Personengesellschaft zwischenschalten, um in den vermeintlichen Segen der BFH-Rechtsprechung zu kommen?
Schlechterstellung mit DBA als ohne?
Sollen für die Zuordnung von Inlandsbeteiligungen zum inländischen Betriebsvermögen einer bloß fiktiv gewerblichen deutschen Personengesellschaft strengere Anforderungen gelten, wenn der ausländische Personengesellschafter in einem DBA-Staat ansässig ist? Mit anderen Worten: setzt die Reduzierung der 25%-igen Kapitalertragsteuer nur in DBA-Fällen eine sog. tatsächlich funktionale Zuordnung von Inlandsbeteiligungen zum Betriebsvermögen einer inländischen Personengesellschaft voraus, die zudem auch noch originär gewerblich sein muss? Denn hier genügt eine fiktive Gewerblichkeit nicht. Und was genau ist mit „tatsächlich funktional“ eigentlich gemeint?
Nach nunmehr gefestigter und allgemein anerkannter Rechtsprechung ist eine gewerblich geprägte Personengesellschaft für das Abkommensrecht unbeachtlich. Die bloße Fiktion der Gewerblichkeit schlägt nicht auf das Abkommensrecht durch. Aber was heißt das konkret für die hier angesprochenen Sachverhalte, wenn sie DBA-Bezug haben? Zunächst besagt das nur, dass eine in einem DBA-Staat ansässige Kapitalgesellschaft, welche Inlandsdividenden mittelbar über eine gewerblich geprägte deutsche Personengesellschaft bezieht, nicht mit abkommensrechtlichen „Unternehmensgewinnen“ in Deutschland beschränkt steuerpflichtig ist. Gleichwohl sind die Inlandsdividenden in Deutschland steuerpflichtig. Sie unterliegen dem deutschen Kapitalertragsteuerabzug bei der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft. Das DBA mag eine Reduzierung oder auch Erstattung der grundsätzlich 25%-igen Kapitalertragsteuer vorsehen. Ob es zu einer solchen Reduzierung kommt, soll nach dem (auch als Folge jüngerer EuGH-Rechtsprechung) ins Wanken geratenen § 50d Abs. 3 EStG von der Substanz der ausländischen Kapitalgesellschaft abhängen – zumindest bei Direktbezug der Inlandsdividenden. Im Nicht-DBA-Fall scheint es umgekehrt. Das ist schon überraschend.
Oder ist es vielleicht ganz anders? Kann es sein, dass auch eine in einem DBA-Staat ansässige Kapitalgesellschaft als Gesellschafterin einer fiktiv gewerblichen deutschen Personengesellschaft (die abkommensrechtlich keine „Unternehmensgewinne“ vermittelt) in den Genuss der von 25% auf 1,5% reduzierten deutschen Steuer kommt, ebenso wie die Kapitalgesellschaft z.B. auf den Bermudas? Das wäre dann der Fall, wenn Deutschland das auch abkommensrechtlich zugestandene „Quellen-“ Besteuerungsrecht für Inlandsdividenden bei Bezug über eine inländische, auch bloß fiktiv gewerbliche Personengesellschaft im Veranlagungsverfahren ausübt – ungeachtet der abkommensrechtlichen Unbeachtlichkeit einer solchen Personengesellschaft.
Warum eigentlich nicht? Was für die Bermuda-Gesellschaft recht ist, sollte für die DBA-Kapitalgesellschaft billig sein. Um diese Thematik wird sich die in den kommenden Wochen und Monaten zu erwartende Flut von Fachbeiträgen drehen!