BFH: Eine Aufwärtsverschmelzung ist eine Veräußerung

StB Dipl.-Kfm. Manuel Brühl ist Counsel bei Becker Büttner Held, München. StB Dipl.-Kfm. Dr. Martin Weiss ist Associate bei Flick Gocke Schaumburg, Berlin.

Die Sperrfristen des § 22 UmwStG sollen während ihrer siebenjährigen Laufzeit Statusverbesserungen durch die Einbringungen der §§ 20, 21 und 25 UmwStG verhindern. Diese Sperrfristbehaftung von (eingebrachten oder im Zuge der Einbringung erhaltenen) Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 22 UmwStG wird derzeit heiß diskutiert. Das FG Schleswig-Holstein hatte mit seinem Urteil zur Gewerbesteuerfreiheit des Einbringungsgewinns II vor kurzem insoweit Neuland betreten (Brühl/Weiss, Steuerboard vom 02.05.2018). Nun hat der BFH mit seiner seit langem erwarteten Revision (Urteil vom 24.01.2018 – I R 48/15, DB 2018 S. 1568) zum Urteil des FG Hamburg vom 21.05.2015 (2 K 12/13) erneut für Diskussionsstoff im Bereich des § 22 UmwStG gesorgt.

Ausgangslage

Hatten das FG Schleswig-Holstein und auch das FG Hamburg sich noch gegen die Auffassung der Finanzverwaltung gestellt, liegt der BFH nun mit seiner Entscheidung auf einer Linie mit der Finanzverwaltung: Eine Umwandlung in Form einer Aufwärtsverschmelzung ist eine Veräußerung für Zwecke des § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG. Diese vom BFH im zweiten Leitsatz seiner Entscheidung vom 24.01.2018 (I R 48/15, DB 2018 S. 1568) vertretene Rechtsauffassung hatte seit langem für Kontroversen im Schrifttum und in der Rechtsprechung gesorgt.

Sie rief auch in anderen Bereichen als dem des § 22 UmwStG Unmut hervor: So sind beispielsweise nach Auffassung der Finanzverwaltung die Sperrfristen des § 6 Abs. 5 Satz 4 und 6 EStG, die ebenfalls auf eine „Veräußerung“ als schädliches Ereignis abstellen, auch durch nachfolgende Umwandlungen verletzt (BMF vom 08.12.2011, DB 2011 S. 2880, Rz. 33 ff.). Auch innerhalb des Umwandlungssteuererlasses wendet die Finanzverwaltung die generelle Gleichsetzung von Umwandlungen und Veräußerungen (UmwStE, DB 2012 S. 86, Rz. 00.02) aggressiv an. Die Nachveräußerungssperre nach Auf- und Abspaltungen i.S.d. § 15 Abs. 2 Satz 3 und 4 UmwStG ist etwa davon betroffen (UmwStE, Rz. 15.24).

Zu dieser folgenreichen und grundsätzlichen Fragestellung hat der BFH nun in ebenso enttäuschender wie eindeutiger Weise Stellung genommen.

Sachverhalt

Der – wenig komplexe – Sachverhalt bestand aus zwei Teilen. Zunächst hatten zwei natürliche Personen ihre jeweils im Privatvermögen gehaltenen 50%-Anteile an einer A-GmbH in eine T-GmbH gegen Ausgabe neuer Anteile eingebracht. An der T-GmbH waren die beiden Einbringenden ebenfalls jeweils zu 50% beteiligt. Da der gemeine Wert der Anteile an der eingebrachten A-GmbH die „Anschaffungskosten“ (§ 21 Abs. 2 Satz 5 UmwStG) überstieg, wurde die ansonsten anfallende Veräußerungsgewinnbesteuerung i.S.d. § 17 EStG (§ 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 UmwStG) durch einen Antrag der übernehmenden T-GmbH auf Ansatz der Anschaffungskosten – zunächst – verhindert (§ 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG).

Im nächsten Schritt wurde die A-GmbH jedoch innerhalb kurzer Zeit nach den Einbringungen aufwärts auf ihre Mutter verschmolzen (§§ 11 ff. UmwStG). Das FA ging – in Übereinstimmung mit der Erklärung der beiden natürlichen Personen – von einer Verletzung des § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG durch die Aufwärtsverschmelzung aus. Es setzte dementsprechend für das Streitjahr 2011 einen geringen Veräußerungsgewinn des Klägers (als Einbringender des Anteilstauschs) an, der nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Buchst. c Satz 1 EStG) nur 787 € betrug. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hatte das FG Hamburg der Klage stattgegeben, da „die Verschmelzung auf den Anteilseigner (Aufwärtsverschmelzung) nicht alle den Veräußerungsbegriff kennzeichnenden Merkmale“ erfülle.

Entscheidungsgründe

Der BFH hat hingegen der vom FA eingelegten Revision stattgegeben. Erfreulich ist zunächst der erste Leitsatz des BFH, der die Möglichkeit einer Einbringung durch einen sog. „einheitlichen Vorgang“ bestätigt. Die Finanzverwaltung führt diesen Begriff in ihrem Anwendungserlass ein. Sie geht von einer für das Antragsrecht des § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG notwendigen Mehrheitsvermittlung auch dann aus, wenn Anteile durch einen einheitlichen Vorgang eingebracht werden und nur in Summe die erforderliche „Mehrheit der Stimmrechte an der erworbenen Gesellschaft“ erreicht wird (UmwStE, BMF vom 11.11.2011, DB 2012 S. 86, Rz. 21.09 a.E.). Dieser Auffassung ist auch der BFH. Die zur Mehrheitsvermittlung erforderliche Beteiligung muss nicht „einheitlich“ sein, sondern kann aus mehreren Einzelbeteiligungen erst auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft entstehen.

Allerdings wendet sich der BFH mit seinem zweiten Leitsatz klar und eindeutig gegen die vom FG Hamburg so ausführlich dargestellte Rechtsauffassung, dass speziell im Fall der Aufwärtsverschmelzung keine „Veräußerung“ der eingebrachten Anteile i.S.d. § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG vorliegen könne. Vielmehr sieht der BFH auch die Aufwärtsverschmelzung der erworbenen Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft als schädliches Ereignis. Zur Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals müsse eine entgeltliche Übertragung von Gesellschaftsanteilen auf einen anderen Rechtsträger vorliegen. Diese liege auch in der Aufwärtsverschmelzung – und dies trotz der Tatsache, dass die Anteile an der übertragenden Tochtergesellschaft durch die Verschmelzung untergehen und damit nicht mehr „getauscht“ werden können. Einen Rechtsträgerwechsel erkennt auch der BFH nicht – und dennoch komme es zu dem oft beschworenen „tauschähnlichen Vorgang“ durch die Verschmelzung. Die von der übernehmenden Körperschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erhaltenen Wirtschaftsgüter seien gegen die untergehende Beteiligung an der übertragenden Tochtergesellschaft im Rahmen eines „tauschähnlichen Vorgangs“ veräußert worden.

Einordnung und Ausblick

Das Urteil des BFH hat weitreichende Konsequenzen für die Strukturierungspraxis. Die Freiheitsgrade des Beraters werden deutlich eingeschränkt, wenn Folgeumwandlungen stets schädliche Folgen für vorausgegangene Strukturierungsschritte befürchten lassen. Nicht immer werden diese Folgen durch Mechanismen wie die in § 22 UmwStG angelegte „Abschmelzung“ über sieben Jahre oder durch Sicherheitsventile wie die „triftigen Gründe“ in § 6 Abs. 3 Satz 1 UmwStG abgefedert.

Die Entscheidung des BFH führt somit zu zahlreichen Folgeproblemen, die das Schrifttum und vor allem die steuerberatende Praxis nun einige Zeit beschäftigen werden. Wer bislang hoffte, eine Folgeumwandlung ohne Kollateralschaden für bestehende Sperrfristen durchführen zu können, muss nun umdenken. Außerhalb der von § 22 Abs. 1 Satz 6 und § 22 Abs. 2 Satz 6 UmwStG für unschädlich erklärten Folgeumwandlungen wird dies nicht mehr möglich sein. Denn die Veröffentlichung des Urteils im Bundessteuerblatt wird von der Finanzverwaltung sicher mit hoher Priorität vorangetrieben werden.

Auch steuerliche „round trips“, die – wie im Urteilssachverhalt – nur den Ausgangszustand zwischen den umwandlungsbeteiligten Rechtsträgern wiederherstellen, sind danach nicht steuerunschädlich möglich. Welchen Sinn eine solche Pönalisierung von eindeutig nicht missbrauchsverdächtigem Verhalten haben soll, bleibt unklar. In anderen Bereichen – wie etwa bei der Sperrfrist des § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG in des Missbrauchs unverdächtigen Fällen einer 100%-Beteiligung – hatte der BFH ein Einsehen gehabt und dem Normzweck von Sperrfristen Geltung verschafft (BFH vom 31.07.2013 – I R 44/12, BStBl. II 2015 S. 450 = DB 2013 S. 2480; vom 26.06.2014 – IV R 31/12, BStBl. II 2015 S. 463 = DB 2014 S. 2565).

Wer nahezu jede Folgeumwandlung zur Veräußerung erklärt, muss mit Folgeproblemen rechnen: Die Zahl der Anträge auf Absehen „von einer rückwirkenden Einbringungsgewinnbesteuerung“ nach der wohl umstrittensten Randziffer des UmwStE – der Rz. 22.23 – wird sicher in die Höhe gehen. Ob Verwaltungsanweisungen mit vorgezeichneten Kriterien für einen Billigkeitsantrag gem. § 163 AO ein geeignetes Sicherheitsventil für überschießende Gesetzeswirkungen sind, konnte man stets schon mit guten Gründen bezweifeln – Stichwort: Sanierungserlass. Und auch bei den einschlägigen Erfahrungen mit der Evolution des § 50i EStG und der ihn begleitenden Äußerungen der Finanzverwaltung zeigte sich, dass Rechtssicherheit nur das dazu berufene Organ bringen kann: der Gesetzgeber.

Diese Einsicht hatte bei § 50i EStG zu einer weitreichenden gesetzgeberischen Entschärfung der Vorschrift geführt. Bei allem Verständnis für das Grundanliegen des § 22 UmwStG wird man auch dieser Vorschrift bei dem jetzigen Verständnis des BFH einen Bedarf für eine solche Entschärfung attestieren müssen. In den Ersatztatbeständen des § 22 Abs. 1 Satz 6 UmwStG ist diese Einsicht letztendlich bereits heute angelegt. Der Anwendungsbereich ist allerdings deutlich zu klein – wie die jetzige Entscheidung zeigt.

Die Einschränkungen des § 8c KStG durch Konzern- und stille Reserven-Klausel beweisen, dass gewisse Vorgänge schlicht aus einem Missbrauchstatbestand herausgenommen werden müssen. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber auch in Anbetracht der langen Dauer der Sperrfrist von sieben Jahren ein Einsehen haben wird. Auf Hilfe vom BFH darf der Einbringende als Leidtragender einer Sperrfristverletzung jedenfalls nicht mehr hoffen.

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