§ 50d Abs. 3 EStG endgültig europarechtswidrig

RA Gerald Herrmann, Counsel bei P+P Pöllath + Partners, München

Im Ausland ansässigen Kapitalgesellschaften wird nach § 50d Abs. 3 EStG die Erstattung von deutscher Kapitalertragsteuer (Quellensteuer) auf Dividendenerträge versagt, wenn sie nicht die erheblichen Substanzerfordernisse der Regelung erfüllen. Zu dieser Regelung hatte der EuGH bereits mit Urteil vom 20.12.2017 (Rs. C-504/16 und C-613/16, RS1261217) entschieden, dass § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des JStG 2007 (anwendbar bis 2011) gegen EU-Recht verstößt (vgl. hierzu Sumalvico, Steuerboard vom 17.01.2017). Mit Beschluss vom 14.06.2018 (Rs. C-440/17, RS1275119) hat der EuGH nun auch die Europarechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG in der aktuellen Fassung festgestellt. Entscheidender Grund hierfür ist erneut der unwiderlegbare pauschale Missbrauchsvorwurf der Regelung ohne vorausgehende Einzelfallprüfung.

Hintergrund

Auf bestimmte Erträge aus Kapitalvermögen (u.a. auf Dividenden) wird Kapitalertragsteuer als Quellensteuer erhoben, d.h. diese wird direkt von der auszahlenden Gesellschaft einbehalten und an das Finanzamt abgeführt.

Unter den Voraussetzungen der sog. Mutter-Tochter-Richtlinie besteht eine Ausnahme von der Quellensteuer-Pflicht für Dividenden einer inländischen Tochtergesellschaft, die einer Muttergesellschaft zufließen, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat. Die ausländische Muttergesellschaft kann dann beim Finanzamt die Freistellung von bzw. Erstattung der Quellensteuer beantragen.

Der Freistellungs- bzw. Erstattungsanspruch ist nach § 50d Abs. 3 EStG (2012) jedoch ausgeschlossen, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • An der ausländischen Muttergesellschaft sind Personen beteiligt, die keinen Anspruch auf eine solche Erstattung hätten, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielt hätten; und
  • die von der ausländischen Muttergesellschaft erzielten Erträge stammen nicht aus ihrer eigenen Wirtschaftstätigkeit; und
  • in Bezug auf diese Erträge liegen auch keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe für die Einschaltung der ausländischen Muttergesellschaft vor; und
  • die ausländische Muttergesellschaft nimmt nicht mit einem für ihren Zweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil.

Bereits das FG Köln (Beschluss vom 17.05.2017 – 2 K 773/16, RS1245557) zweifelte an der Vereinbarkeit dieser Norm mit der Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU einerseits sowie mit der europäischen Mutter-Tochter-Richtlinie andererseits (vgl. hierzu Herrmann, Steuerboard vom 09.08.2017).

Beschluss des EuGH vom 14.06.2018

Mit Beschluss vom 14.06.2018 (Rs. C-440, RS1275119) folgt der EuGH der Auffassung des FG Köln und stellte einen Verstoß gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie (Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96) bzw. gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) durch die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG (2012) fest.

Der EuGH führt hierzu aus, dass die Mutter-Tochter-Richtlinie für Ausschüttungen zwischen Kapitalgesellschaften – bei Erfüllung der Mindestbeteiligungsquote von 10% – eine generelle Quellensteuerbefreiung vorsieht. Hieraus ergibt sich ein generelles Verbot Gewinne, die von einer in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Muttergesellschaft ausgeschüttet werden, einem Steuerabzug an der Quelle zu unterwerfen.

Folglich kann ein Mitgliedstaat diesen Anspruch auf Quellensteuerbefreiung grundsätzlich auch nicht beschränken, indem er ihn von diversen Bedingungen abhängig macht.

Einzige Ausnahme wäre eine beschränkende Regelung zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen. Solche Regelungen müssen aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren und dürfen daher insbesondere nicht über das für die Erreichung des Ziels Erforderliche hinausgehen. Dies ist jedoch nur dann gegeben, wenn das spezifische Ziel der Regelung der Verhinderung von Verhaltensweisen dient, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktionen zu errichten, um ungerechtfertigt einen Steuervorteil zu nutzen.

Deshalb kann eine allgemeine Vermutung für das Vorliegen von Steuerhinterziehung oder Missbrauch keine Steuermaßnahme rechtfertigen, die die Ziele der Mutter-Tochter-Richtlinie oder der Grundfreiheiten beeinträchtigt. Eine zuständige nationale Behörde kann sich daher nicht darauf beschränken, vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden. Vielmehr muss der Vorgang jeweils als Ganzes individuell geprüft werden. Auch eine generelle Regelung, die bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen automatisch von dem Steuervorteil ausnimmt ohne dass ein Anfangsverdacht oder Indiz für eine Steuerhinterziehung vorliegt, geht daher über das Erforderliche hinaus. Schließlich muss der Steuerpflichtige auch die Möglichkeit eines Gegenbeweises haben.

Verstoß gegen Mutter-Tochter-Richtlinie

Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG (2012) hält einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe nach Auffassung des EuGH nicht stand.

Erstens dient die Regelung nicht alleine der Verhinderung rein künstlicher Konstruktionen, die auf die ungerechtfertigte Nutzung eines Steuervorteils ausgerichtet sind. Das Fehlen einer wirtschaftlichen Tätigkeit der empfangenden Gesellschaft stellt für sich genommen kein missbräuchliches oder betrügerisches Verhalten dar. Die Mutter-Tochter-Richtlinie schreibe deshalb auch gerade nicht vor, welche Wirtschaftstätigkeit eine Gesellschaft ausüben müsse.

Zweitens versagt die Regelung eine Quellensteuerbefreiung, ohne dass die Steuerbehörde einen Anfangsverdacht oder ein Indiz für Steuerhinterziehung beibringen muss. Vielmehr wird eine allgemeine Hinterziehungs- bzw. Missbrauchsvermutung aufgestellt, was der Mutter-Tochter-Richtlinie widerspricht.

Drittens eröffnet die Regelung der empfangenden Gesellschaft keine Möglichkeit, den Gegenbeweis zu erbringen, dass keine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion vorliegt. D.h. es wird mithin eine unwiderlegbare Missbrauchsvermutung aufgestellt.

Schließlich erfolgt bei der Regelung keine umfassende Prüfung aller Umstände des konkreten Einzelfalls. Die Regelung verstößt daher gegen die Vorgaben der Mutter-Tochter-Richtlinie.

Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit

Daneben sieht der EuGH auch einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit als gegeben. Diese umfasst das Recht der nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren Sitz oder ihre Verwaltung in einem Mitgliedstaat haben, ihre Tätigkeit in den Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft auszuüben. Eine Beschränkung dieser Freiheit liegt in jeder Maßnahme, die ihre Ausübung unterbindet, behindert oder weniger attraktiv macht. Eine solche Beschränkung kann zwar ebenfalls zur Vermeidung einer Steuerhinterziehung gerechtfertigt sein. Dies jedoch nur, wenn die einschränkende Regelung wiederum verhältnismäßig ist. Aus den oben zur Mutter-Tochter-Richtlinie ausgeführten Gründen ist dies bei der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG nicht der Fall. Die Regelung verstößt daher auch gegen die Niederlassungsfreiheit.

Zusammenfassung

Der Beschluss des EuGH kommt nach dem Urteil zur Altfassung des § 50d Abs. 3 EStG nicht überraschend. Die Begründung des EuGH ist nachvollziehbar und vollumfänglich zutreffend. Fraglich ist, ob und ggf. wie die Finanzverwaltung bzw. der Gesetzgeber hierauf reagieren werden. Aufgrund der klaren Vorgaben des EuGH wird ein Nachbessern der vorhandenen Regelung mittels Verwaltungsanweisung – wie zur Altfassung durch BMF-Schreiben vom 04.04.2018 (DB1267556) versucht (vgl. hierzu Dorfmüller, Steuerboard vom 13.06.2018) – jedoch nicht ausreichend sein. Eine eventuelle Neuregelung wird nur dann europarechtskonform sein, wenn insbesondere folgende Vorgaben des EuGH eingehalten werden:

  • Beschränkung der Regelungswirkung auf rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Steuergestaltungen zur Erlangung eines ungerechtfertigten Steuervorteils;
  • Eingreifen der Regelung nur bei Vorliegen von Indizien für Steuerhinterziehung oder Missbrauch (Beweislast hierfür bei den Finanzbehörden);
  • Regelung enthält die Möglichkeit eines Gegenbeweises durch den Steuerpflichtigen;
  • Sicherstellung einer individuellen Prüfung jedes Einzelfalls anhand sämtlicher konkreter Umstände.

Im Ergebnis ist der Beschluss des EuGH gerade aufgrund seiner Deutlichkeit hinsichtlich dieser Vorgaben aus Sicht des Steuerpflichtigen sehr zu begrüßen, da so ein erneuter Schnellschuss des Gesetzesgebers eigentlich ausgeschlossen sein sollte. Erfahrungsgemäß bleibt jedoch abzuwarten, ob sich dies in Zukunft tatsächlich bestätigt.

Kommentare sind geschlossen.