Versetzt der BFH der ertragsteuerlichen Organschaft den Todesstoß?

RA/FAStR/StB Dr. Wolfgang Walter, audit law gmbh Rechtsanwalts-gesellschaft und TAXGATE Partners, beide Stuttgart

Meint man zunächst, es gehe in dem am 10.04.2019 veröffentlichen Urteil des BFH vom 24.10.2018 (I R 78/16, DB 2019 S. 820) nur um die Haftung der Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers nach § 73 AO, stockt einem bei der Lektüre gegen Ende des Urteils doch kurz der (steuerliche) Atem. Das hat man so im Zusammenhang mit dem Jahrzehnte bekannten Rechtsinstitut der Organschaft noch nicht zu lesen bekommen – sieht man von der Rechtsansicht ab, mit der Finanzämter im Jahr 2007 die Organschaft schon einmal generell als Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO behandeln wollten.

Durch Gesellschaftsverhältnis begründete Haftungsinanspruchnahme

Eine Organgesellschaft hatte eine Rückstellung für die drohende Haftungsinanspruchnahme für Steuern des insolventen Organträgers gebildet. Der BFH bestätigt zunächst die zutreffende Auffassung des FG (FG Münster vom 04.08.2016 – 9 K 3999/13 K,G), dass das Abzugsverbot des § 10 Nr. 2 KStG für Steuern vom Einkommen und andere Personensteuern nicht für die Haftung für Steuern vom Einkommen dritter Personen wie dem Organträger als dem Steuerschuldner des Organkreises gilt. Das FG hatte aber die Rückstellung als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) gewertet und deshalb den Betrag der Gewinnminderung außerbilanziell wieder hinzugerechnet (krit. Anm. Walter, GmbHR 2017 S.  270). Der BFH bestätigt dies nun, da die vermögensmindernde Haftungsinanspruchnahme durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst gewesen sei. Ausreichend sei bereits eine Mitveranlassung der Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis. Dies sei darin zu sehen, dass ein Gewinnabführungsvertrag (GAV) abgeschlossen worden und dadurch ein Organschaftsverhältnis mit dem genuin organschaftsrechtlichen Haftungsrisiko des § 73 AO begründet worden sei. Der Abschluss eines GAV sei stets durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst. Diese Auffassung hatte bereits das FG vertreten. Auf die dagegen dezidiert vorgebrachte Kritik geht der BFH nicht ein (Walter, in: Bott/Walter, § 14 KStG Rz. 20). Die Eingehung einer solchen Verpflichtung durch die Organgesellschaft sei wirtschaftlich nur mit dem vorrangigen Konzerninteresse zu erklären und rühre folglich aus dem Gesellschaftsverhältnis her.

Kritische Würdigung der Sichtweise des BFH

Der BFH geht sogar noch einen Schritt weiter: In Rn. 21 seines Urteils führt er aus: „Denn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft würde die Gesellschaft nicht gegenüber einem gesellschaftsfremden Dritten veranlassen, ihren gesamten Gewinn an diesen abzuführen und zusätzlich das Risiko übernehmen, für dessen Steuerschulden zu haften.“ Lässt sich diese Argumentation allein mit dem fiskalischen Unwohlsein erklären, dass ohne eine vGA die Steuern des insolventen Organträgers niemand mehr bezahlt hätte? Wäre diese Aussage richtig, dürfte kein Vorstand oder Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft mehr einen GAV abschließen, ohne persönlich zu haften, es sei denn, er wäre als Geschäftsführer zuvor durch die Gesellschafterversammlung angewiesen worden oder bei einer AG bestünde zuvor bereits ein Beherrschungsvertrag. Wird dies künftig nicht berücksichtigt, hätte der BFH dem Rechtsinstitut der Organschaft den Todesstoß versetzt.

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