Mit Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16 hat der BFH entschieden, dass alle Einkünfte einer selbst nicht gewerblich tätigen oder geprägten Personengesellschaft (Obergesellschaft), die ihrerseits an einer gewerblich tätigen, gewerblich infizierten oder gewerblich geprägten Personengesellschaft (Untergesellschaft) beteiligt ist, auch dann als gewerbliche Einkünfte zu besteuern sind (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG), wenn die Beteiligung an der Untergesellschaft und die Höhe der daraus erzielten Einkünfte ihrem Umfang nach geringfügig sind. In anderen Worten: Solange nicht die gewerbliche Tätigkeit der Untergesellschaft geringfügig ist, führt ihre gewerbliche „Infektion“ immer zur gewerblichen „Aufwärtsinfektion“ der Obergesellschaft. Die Folgen dieses Urteils für vermögensverwaltende Personengesellschaften, die bei der Auswahl ihrer Investments nicht größtmögliche steuerliche Vorsicht walten lassen, können dramatisch sein. Erstaunlicherweise sollen die Folgen der Aufwärtsinfektion nach dem Urteil vom 06.06.2019 allerdings nicht für die Gewerbesteuer gelten.
Funktionsweise der gewerblichen Infektion und Bagatellgrenze
Ursprünglich betraf die gewerbliche Infektion nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG den Sachverhalt, dass eine Personengesellschaft neben nicht-gewerblichen Aktivitäten auch eine gewerbliche Tätigkeit betreibt. Letztere färbt dann auf die sonstigen Einkünfte der Personengesellschaft in der Weise ab, dass alle Einkünfte als gewerbliche Einkünfte gelten. Dies hat im Wesentlichen drei Folgen:
a) Sämtliche der Einkünfteerzielung dienenden Wirtschaftsgüter der Personengesellschaft werden Betriebsvermögen. Deren Veräußerung oder Entnahme unterliegt somit als laufender Geschäftsvorfall der Besteuerung.
b) Die Besteuerung erfolgt nach dem Regeltarif: Kapitaleinkünfte der Personengesellschaft werden nicht mit der Abgeltungssteuer, sondern mit dem u.U. deutlich höheren individuellen Steuersatz des jeweiligen Gesellschafters besteuert.
c) Sämtliche Einkünfte unterliegen der Gewerbesteuer, deren Belastung allerdings bis zu einem Hebesatz von 380% durch die Gewerbesteueranrechnung (§ 35 EStG) neutralisiert wird und erst darüber hinaus eine Mehrbelastung der Einkünfte auslöst.
Die überschießende Tendenz dieser Folgen bedarf als Eingriff in das Grundrecht auf gleichmäßige Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 GG) der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung (BVerfG vom 15.01.2008 – 1 BvL 2/04, DB 2008 S. 1243). Das Bundesverfassungsgericht hat § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG aus drei Gründen für gerechtfertigt erachtet:
- Die Abfärberegelung dient der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens, da sie die Ermittlung von Einkünften unterschiedlicher Einkunftsarten vermeidet.
- Die Abfärberegelung dient der Sicherung der Gewerbesteuer, da sie vermeidet, dass aufgrund unzureichender Abgrenzungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Einkunftsarten gewerbliche Tätigkeiten einer anderen Einkunftsart zugeordnet werden.
- Nach der Rechtsprechung des BFH tritt die Abfärbewirkung nicht ein, wenn die gewerblichen Einkünfte der Personengesellschaft unter einer Bagatellgrenze von 3% ihrer Gesamtnettoumsatzerlöse, höchstens allerdings EUR 24.500 p.a., bleiben.
Rechtsentwicklung zur gewerblichen Aufwärtsinfektion
Mit Urteil vom 08.12.1994 (IV R 7/92) hatte der IV. Senat des BFH entschieden, dass die Infektionswirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht nur horizontal für die betreffende Personengesellschaft gilt, sondern auch vertikal auf die Einkünfte einer (landwirtschaftlich tätigen) Obergesellschaft ausstrahlt. Der IX. Senat des BFH war dieser Ansicht für vermögensverwaltend tätige Obergesellschaften mit Urteil vom 06.10.2004 (IX R 53/10) jedoch entgegengetreten. Weder das Ziel einer Vereinfachung der Ermittlung der Einkünfte der Obergesellschaft noch der Zweck einer Sicherung der Gewerbesteuer könnten eine gewerbliche Aufwärtsinfektion rechtfertigen, da die Beteiligungseinkünfte aus der Untergesellschaft der gesonderten Feststellung unterliegen und sie auf Ebene der Obergesellschaft für gewerbesteuerliche Zwecke zu kürzen sind (§ 9 Nr. 2 GewStG). In Reaktion auf das Urteil des BFH vom 06.10.2004 hatte der Gesetzgeber des Jahressteuergesetzes 2007 allerdings die Vorschrift des § 15 Abs. 3 Nr. 1 um eine zweite Alternative ergänzt und darin die Aufwärtsinfektion kodifiziert. Seither war strittig, ob die vom BFH zu § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG entwickelte Bagatellgrenze auch für die Aufwärtsinfektion gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG gilt. Das FG Niedersachsen hatte in einem Urteil vom 08.12.2010 (2 K 295/08) die Frage nach der Bagatellgrenze bei der Aufwärtsinfektion bejaht. Das FG Baden-Württemberg hatte dagegen in einem Urteil vom 22.04.2016 (13 K 3651/13) jegliche Bagatellgrenze bei der Aufwärtsinfektion abgelehnt.
Die Entscheidung des IV. Senat vom 06.06.2019
Mit seinem Urteil vom 06.06.2019 hat der BFH das FG Baden-Württemberg bestätigt und einer Bagatellgrenze im Rahmen der Aufwärtsinfektion eine Absage erteilt. Jede noch so geringe Beteiligung an einer gewerblich tätigen oder infizierten Untergesellschaft mit noch so geringen daraus bezogenen Einkünften führt hiernach uneingeschränkt zu gewerblichen Einkünften der Obergesellschaft sowie der Einlage sämtlicher Wirtschaftsgüter der Obergesellschaft in das Betriebsvermögen. Zugleich hat der BFH allerdings die Aufwärtsinfektion bei der Gewerbesteuer insgesamt – also selbst für nicht geringfügige Beteiligungen und Beteiligungseinkünfte – abgelehnt. Ein Blick in die Urteilsgründe offenbart große Schwächen in der Begründung dieses widersprüchlichen Ergebnisses.
Keine Aufwärtsinfektion für gewerbesteuerliche Zwecke
Nach Ansicht des BFH gibt es keine hinreichend gewichtigen Gründe, welche die gewerbesteuerlichen Folgen der Aufwärtsinfektion rechtfertigen könnten. Aufgrund der gewerbesteuerlichen Kürzung (§ 9 Nr. 2 GewStG) diene die Aufwärtsinfektion nicht der Sicherung des Gewerbesteueraufkommens. Auch das Argument der verfahrensrechtlichen Vereinfachung der Einkünfteermittlung greife nur in geringem Umfang, da die Einkünfte gesondert bei der Untergesellschaft ermittelt würden. Schließlich könne die Möglichkeit des Steuerpflichtigen, die Aufwärtsinfektion durch Gründung einer Schwesterpersonengesellschaft zu vermeiden, eine Gewerbesteuerpflicht der Einkünfte der Obergesellschaft nicht rechtfertigen. Denn die Frage der Verfassungsmäßigkeit hänge nicht davon ab, dass der Steuerpflichtige sich der betreffenden Vorschrift ohne weiteres entziehen könne. Insoweit ist dem BFH uneingeschränkt beizupflichten.
Keine Bagatellgrenze bei der einkommensteuerlichen Aufwärtsinfektion
Umso verblüffender ist es allerdings, dass der BFH auf ertragsteuerlicher Ebene mit dem Verweis auf eine Vereinfachung der Einkünfteermittlung nicht nur die Aufwärtsinfektion per se als gerechtfertigt ansieht, sondern damit auch die Notwendigkeit einer Bagatellgrenze ablehnt. Der verfassungsrechtliche Rahmen wird dadurch wahrscheinlich überschritten, da der BFH sich zur Rechtfertigung einer uneingeschränkten einkommensteuerlichen Aufwärtsinfektion ausgerechnet auf das einzig verbliebene und nach seinen eigenen Ausführungen schwache Argument der Verfahrensvereinfachung stützt. Darüber hinaus sieht der BFH die Folgen der Aufwärtsinfektion deswegen für wenig gravierend an, da der Steuerpflichtige sich diesen durch Gründung einer Schwesterpersonengesellschaft leicht entziehen könne. Das Argument der leichten Entziehungsmöglichkeit wurde in dem Urteil aber im Zusammenhang mit der Gewerbesteuer mit deutlichen Worten abgelehnt. Schließlich preist der BFH angebliche steuerliche Vorteile der Aufwärtsinfektion: So verweist der BFH auf „die an das Betriebsvermögen anknüpfenden erbschaft- und schenkungsteuerlichen Freibeträge und Bewertungsabschläge“ – ersichtlich in Anknüpfung an die (verfassungswidrige!) Erbrechtslage vor 2009, welche zwischenzeitlich mehrfach (aus verfassungsrechtlichen Gründen!) grundlegend geändert werden musste. Dieses vom BFH aus dem Beschluss des BVerfG von 2008 übernommene Argument ist angesichts der heutigen Steuerrechtslage schlichtweg falsch: Die Wirtschaftsgüter gewerblich geprägter oder infizierter vermögensverwaltender Gesellschaften unterliegen als sog. Verwaltungsvermögen spätestens seit der letzten Erbschaftsteuerreform zum 01.07.2016 mit ihrem gemeinen Wert der Erbschaftsteuer (§ 13a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13b Abs. 2 ff. ErbStG n.F.).
Fazit
Die Entscheidung des BFH zur Ablehnung einer Bagatellgrenze bei der gewerblichen Aufwärtsinfektion überzeugt weder im Ergebnis noch in der Begründung. Mit der eigentlich zur Entscheidung anstehenden Frage, warum jede noch so geringe Beteiligung an einer u.U. selbst nur gewerblich infizierten Untergesellschaft mit vernachlässigbaren positiven Erträgen für die Fiktion gewerblicher Einkünfte der Obergesellschaft ausreichen soll, hat sich der BFH leider nicht beschäftigt. Es wäre wünschenswert, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Frage nach einer möglichen Verletzung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes durch die Nichtanerkennung einer Bagatellgrenze bei der Aufwärtsinfektion nun vom Bundesverfassungsgericht klären lässt. In allen anderen Fällen ist unabhängig hiervon die Anfechtung sämtlicher noch offenen Gewerbesteuer-Messbescheide der jeweiligen Obergesellschaft anzuraten. Schließlich werden die Gesellschafter vermögensverwaltender Personengesellschaften nicht umhin kommen, dass sie bei jeder Beteiligung an einer anderen Personengesellschaft gewissenhaft deren Tätigkeiten und Wirtschaftsgüter prüfen, um eine gewerbliche Aufwärtsinfektion möglichst zu vermeiden.