Der Staat, das Gemeinwesen, besteuert seine Bürger, um sich die nötigen Mittel für die öffentlichen Haushalte zu beschaffen. Er wird dadurch in die Lage versetzt, seinen Aufgaben gerecht zu werden. Der Bürger refinanziert vice versa vermittels der Steuern seine Teilhabe an besagtem Gemeinwesen. Das beschreibt die „Idealfunktion“ des Steuerstaates. Davon ist die Realität allerdings, was höchst bedauerlich ist, mehr denn je entfernt.
Das besteuernde und das steuernde Gemeinwesen
Mit dem Besteuern ist es nämlich nicht getan. Darin begnügt sich der politische Gestaltungswille keineswegs. Dieser zielt vielmehr auf ein „Steuern“, ein Lenken ab, ein Lenken des Verhaltens der Bürger. Dass das im Ergebnis beträchtlich freiheitsbeschneidend sein kann, wird gerne in Kauf genommen. Die Selbstbestimmtheit des Menschen soll eben nicht unbeeinflusst bleiben, weder von Ideologien, scheinbaren Wohltaten, politischem Machtgehabe, Versprechen noch von sonstigen Opportunitäten. Sie soll ihm über die Steuern lieber „abgekauft“ werden, „subkutan“ und zumeist wider individueller ökonomischer Vernunft. Aktuell schön ablesen lässt sich das an der Öko- und Klimapolitik (s. bereits Gosch, StuW 1990 S. 201: „Juristische Beurteilung von Ökosteuern“; allgemein z.B. Paul Kirchhof, „Steuern durch Steuern“, in: Ruperto Carola, Forschungsmagazin der Universität Heidelberg, 1/2004, S.10; auch Gosch, in: Festschrift Haarmann, 2015, S. 513: „Gutes tun und Steuern sparen“).
Wirtschaftslenkendes Steuerrecht am Beispiel des Umwandlungssteuerrechts
Solche Lenkungszwecke betreffen dann aber auch die Wirtschaftspolitik und verklammern diese mit der Steuerpolitik. Davon soll hier nur in einem Teilbereich die Rede sein – den wirtschaftspolitischen Relevanzen des Umwandlungssteuerrechts. Denn bei Licht betrachtet ist Umwandlungssteuerrecht nicht, wie ansonsten beim „reinen“ Steuerrecht durchgängig der Fall, klassisches „Eingriffsrecht“. Es ist auch kein „Verteilungsrecht“. Es öffnet vielmehr den ordnungsrechtlichen Rahmen (vgl. Brühl, GmbHR 2019 S. 271 [276]; Brühl/Weiss, Ubg 2017 S. 259 [266]; Gosch, StbJb 2012/2013 S. 3 [11]) für ein steuerwirkend (partiell) unbeeinflusstes Wirtschaften:
Umstrukturierungen sollen keine Gewinnrealisierungen auslösen. Zwar nimmt man – jedenfalls dann, wenn man der „herrschenden Lehre“ (Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, 8. Aufl., § 24 Rn. 1, m.w.N.) folgt – an, dass jedwede Umwandlungsvorgänge fiktive Veräußerungen sind und als solche „eigentlich“ Realisierungen bewirken. Das ist denn auch die (an § 6 Abs. 5 und 6 EStG angelehnte) Grundidee. Sie löst sich aber, eben aus ordnungsrechtlichen Gründen, weitgehend zugunsten einer vorgeblichen Ausnahme, tatsächlich aber eines umgekehrten Regelfalls, auf: Der Buchwertübertragung und damit einer (jedenfalls der Theorie nach kraft Steueraufschubs, nicht aber Steuerverzichts, nur vorläufigen) steuerlichen Neutralität.
Um die – de facto reziprok regelbildenden – Ausnahmen zu formen, ist die Büchse der Gestaltungsfreude geöffnet. Es bedarf mancher regulatorischer Verrenkungen, Voraussetzungen, tatbestandlicher Beschränkungen, Missbrauchsverhinderungsversuche usw. Das Umwandlungssteuerrecht zählt nicht nur deswegen gewiss zu dem Schwierigsten, was das Steuerrecht servieren kann. Es gilt, das gestalterische „Ausnutzen“ der normativen Fortführungs-, Ver- wie Entstrickungsmöglichkeiten zu verhindern, ebenso wie überschießenden Kollateralwirkungen zu begegnen. Es gilt, (scheinbare) Folgerichtigkeiten zu bewahren und manches Mehr. Ein normmonströses Dickicht für wahre Insider.
Austausch von Regel und Ausnahme und dessen Rechtfertigung
Es bedarf zudem etlicher gedanklicher Manöver, um die vorgeblichen Regelausnahmen zu rechtfertigen. Für diese „Ausnahmen“ lassen sich gewiss gute Gründe suchen und auch finden: Oft haben jene fiktiven Veräußerungsvorgänge keinen Zufluss einer wirklichen Gegenleistung zur Folge und fehlt ein echter Realisierungsakt. Es werden Wirtschaftsgüter gegen Anteile „getauscht“, es werden Sacheinlagen auf einen anderen Rechtsträger getätigt, manches geschieht unentgeltlich, usw. Ökonomisch sinnvolles Umstrukturieren soll nicht durch missgünstiges Steuerbelasten konterkariert werden (Rödder, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, Einf. Rn. 5, unter Hinweis auf die Regelungsmaterialien zum UmwStG 2006, vgl. BT-Drucks. 12/6885 S. 14).
Gängig ist es zudem, eine Rechtfertigung in dem betrieblichen Fortführungsgedanken zu erblicken. Das Wirtschaften soll ja, wie schon gesagt, aus Marktordnungserwägungen nicht behindert werden. Bleibe das „Markteinkommen“ als solches gewahrt und gesichert, dann sei es gerechtfertigt, den sonst hoch und heilig gehaltenen Grundsatz der Steuersubjektbesteuerung zu überwölben. Denn bei Licht betrachtet ziele das Umstrukturieren ja gar nicht auf Gewinnmaximierung ab, sondern beruhe auf innerbetrieblichen Notwendigkeiten.
Letzteres sei indessen mehr als hinterfragt: Ganze Berater-Hundert- und Tausendschaften verbringen ihre Zeit damit, solche betrieblichen Notwendigkeiten mehr oder weniger rein steuermotiviert zu optimieren. Die Ursachen für die Umstrukturierungen mögen heterogen sein. Sie mögen Nachfolgeplanung, betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten und mehr betreffen. Oft geht es aber auch schlicht um das „Steuersparen“ oder das gezielte Einsetzen von „Realisationsgewinnen“ – etwa, um Verlustpotenziale zu mobilisieren und zu transportieren. So gesehen ist mit der Erkenntnis, dass „echte“ Gewinnmaximierung oftmals nicht im Vordergrund steht, nicht viel gewonnen. Auch das Vermeiden von Steuern trägt naturgemäß zur Kostensenkung und damit vice versa zur Gewinnmaximierung bei. Es dünkt deswegen euphemistisch, mit dem (frühen, auf RFH-Spruchpraxis aufbauenden) BFH (BFH vom 13.07.1965 – I 167/59 U, BStBl. III 1965 S. 640) zu argumentieren, „das Einbringen“ von Unternehmensteilen in eine Kapitalgesellschaft stelle bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine bloße „Vorbereitung der Realisierung des Veräußerungsgewinns“ dar, „die erst bei einer späteren Veräußerung der Beteiligung vollendet“ werde, selbst aber noch keine Gewinnrealisierung auslöse. Was, auf Einbringungen gemünzt, recht ist, muss für die komplexen Umstrukturierungsvorgänge des heutigen Umwandlungssteuerrechts nicht ohne weiteres billig sein.
Und ohnehin gilt es zu beachten, dass der Realisationsakt nur den Besteuerungszugriff öffnet und diesen administrativ handhabbar macht. Denn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einzelnen wurde bei Licht betrachtet doch bereits zuvor gesteigert, nämlich bei Entstehen der stillen Reserven. Schon von daher bedarf die regulative Steuerneutralität der Umwandlung einer besonderen Begründung.
Steuerrechtsprinzipien versus „Prinzipienlosigkeit“?
Es liegt nahe, solche Begründungsversuche in den gängigen Steuerrechtsprinzipien zu suchen, und so geschah es nicht zuletzt erst vor wenigen Wochen intensiv und in brillanten Vorträgen auf der Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft in Hamburg.
Ob man solche Begründungen dort – in jenen Prinzipien – dann tatsächlich auch findet, steht allerdings auf einem anderen Blatt: Denn das einschlägige steuerliche Subjektprinzip ebenso wie das nicht minder einschlägige steuerliche Veräußerungsprinzip werden im Umwandlungssteuerrecht stark relativiert. Das Leistungsfähigkeitsprinzip, das Trennungsprinzip werden durchbrochen. Ungleichbehandlungen zu anderen „veräußernden“ Marktteilnehmern werden als gerechtfertigt angesehen. Ebenso wie der eigentlich auf der Hand liegende Verstoß gegen das wettbewerbsrechtlich fundierte unionsrechtliche Beihilfeverbot: Die „Fortverstrickung der stillen Reserven“ sowie eine „gewisse Kontinuität in der sachlichen Einkommenserzielung am Markt“ sollen – so liest man (bei Desens, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, UmwStG Einf. Rn. 39) – dagegen Rechtfertigungssperren bilden und etwaigen diesbezüglichen Angriffsflächen die Stirn bieten.
Schaut man auf die Spruchpraxis des BFH, hört sich das andernorts ganz anders an und wird das Subjektprinzip gleichsam zur „Feste“ hochgehalten. So erst jüngst im Kontext der Einkünfteerzielungsabsicht (BFH vom 18.04.2018 – I R 2/16, BStBl. II 2018 S. 567 = DB 2018 S. 2340):
„Nach dem Grundsatz der Individualbesteuerung hat sich die Überschussprognose auch bei unentgeltlicher Übertragung einer Einkunftsquelle regelmäßig an der Nutzung des Vermögensgegenstandes durch den Steuerpflichtigen zu orientieren.“ Denn: „Die Einkommensteuer ist eine Personensteuer. Sie erfasst die im Einkommen zu Tage tretende Leistungsfähigkeit der einzelnen natürlichen Person und wird daher vom Grundsatz der Individualbesteuerung sowie demjenigen der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit beherrscht. Die personale Anknüpfung der Einkommensteuer garantiert die Verwirklichung des verfassungsrechtlich fundierten Gebots der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit; demgemäß ist grundsätzlich die einzelne natürliche Person Zurechnungssubjekt der von ihr erzielten Einkünfte. Nach dem Grundsatz der Individualbesteuerung hat sich die Überschussprognose auch bei unentgeltlicher Übertragung einer Einkunftsquelle (hier: Kapitalanlage) regelmäßig an der Nutzung des Vermögensgegenstandes durch den Steuerpflichtigen zu orientieren.“ Deshalb: „Soweit die Rechtsprechung den Grundsatz der Individualbesteuerung durchbrochen und bei der Prognose ausnahmsweise auch die Nutzung durch einen (unentgeltlichen) Rechtsnachfolger berücksichtigt hat, handelt es sich um begrenzte Ausnahmefälle und kommt den entsprechenden Aussagen (…) keine allgemeine Bedeutung zu.“
Fazit: Umwandlungssteuerrecht ist „eigentlich“ Marktordnungsrecht
Dass das Umwandlungssteuergesetz und seine hochausdifferenzierten Inhalte solche Ausnahmen darstellen, mag man zuweilen lesen, glauben muss man das nicht. Nicht nur, weil die Ausnahmen dort auf die Füße der Regel gestellt werden. Auch nicht nur, weil steuerliche Rechts- oder Kooperationsformneutralität kein Verfassungsgebot ist. Sondern weil es sich hierbei eben schlicht um Marktordnungsrecht handelt, das steuerrechtlich Widersprüchliches und Systembrüchiges in Kauf nimmt und mit der grundsätzlichen Nichtbesteuerung der Umstrukturierung ein eigenständiges, neues Normtelos kreiert. In diesem Rahmen ist der Gesetzgeber als „Ordnungsgesetzgeber“ wesentlich freier, sein Gestaltungsfreiraum wird dadurch eminent erweitert.
Konsequenz: Der Gesetzgeber kann im Umwandlungssteuerrecht „prinzipienlos“, unbehelligt von irgendwelchen „Steuerprinzipien“, entscheiden und ist “lediglich“ – aber immerhin – gehalten, eine gewisse Folgerichtigkeit zu beachten. Steuerpolitik wird so zur Wirtschaftspolitik (nicht anders als bei der neuerlich bei der OECD ausgedachten „Weltsteuerordnung“).