Das BMF hat am 10.12.2019 einen Referentenentwurf zum ATAD-Umsetzungsgesetz veröffentlicht (vgl. zu Änderungen des InvStG bereits Fest, Steuerboard vom 20.12.2019). Auch wenn die Umsetzung der zugrundeliegenden EU-Richtlinie dies nicht zwingend erfordert, enthält der Entwurf auch grundlegende Änderungen der Vorschriften zur Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen, die Anteile an Kapitalgesellschaften in ihrem Privatvermögen halten (§ 6 AStG). Das bisherige Konzept der bei Wegzügen in das EU-/EWR-Gebiet zu gewährenden zinslosen, unbefristeten Steuerstundung soll zugunsten einer ratierlichen Besteuerung aufgegeben werden. Dies würde eine erhebliche Einschränkung der Mobilität des betroffenen Personenkreises bedeuten, ebenso ihrer perspektivischen Rechtsnachfolger. Denn auch der Übergang von Kapitalgesellschaftsanteilen auf im Ausland ansässige Personen durch Erbschaft oder Schenkung kann die Wegzugsbesteuerung auslösen.
Aktuelles Konzept der Wegzugsbesteuerung
Gesellschafter von in- und ausländischen Kapitalgesellschaften mit einer Beteiligung von mindestens 1% (Anteile i.S.d. § 17 EStG) unterliegen bei Wegzug aus Deutschland potenziell einer Wegzugsbesteuerung, wenn sie insgesamt mindestens zehn Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig waren. Die Anteile gelten dann im Wegzugszeitpunkt als zum gemeinen Wert verkauft, so dass es potenziell zur Realisation eines steuerpflichtigen (fiktiven) Veräußerungsgewinns kommt (§ 6 Abs. 1 AStG). Dasselbe gilt insbesondere, wenn die Anteile durch Schenkung oder Todesfall auf einen im Ausland ansässigen Erwerber übergehen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG).
Seit 2006 sieht das Gesetz jedoch vor, dass die festgesetzte Wegzugsteuer grds. bis zu einer tatsächlichen Anteilsveräußerung unbefristet, zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden ist, wenn der Wegzügler ein EU-/EWR-Staatsbürger ist und er nach dem Wegzug in einem anderen EU-/EWR-Staat unbeschränkt steuerpflichtig wird (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG). Dasselbe gilt in EU-/EWR-Konstellationen im Fall des Anteilsübergangs durch Erbfall oder Schenkung auf im Ausland ansässige Personen (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG). In Drittlandsfällen kann hingegen nur im Härtefall auf Antrag eine verzinsliche Stundung gegen Sicherheitsleistung erfolgen; die Steuer ist dann in fünf Jahresraten fällig (§ 6 Abs. 4 AStG).
Zur Einführung der Stundungsregelung für EU-EWR-Fälle sah sich der Gesetzgeber seinerzeit durch ein gegen Deutschland eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren sowie die Rechtsprechung des EuGH gezwungen (vgl. hierzu ausf. Richter/Escher, FR 2007 S. 674 ff.). So hatte der EuGH in den Rechtsachen du Saillant (EuGH vom 11.03.2004 – C-9/02, DB 2004 S. 686) und N (EuGH vom 07.09.2006 – C-470/04) explizit zur Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen klargestellt, dass die Niederlassungsfreiheit (jetzt Art. 49 AEUV) zwar eine sofortige Steuerfestsetzung bei Wegzug zulasse, aber eine zeitlich unbefristete, zinslose Stundung ohne Sicherheitsleistung erfordere. Dies wurde im Rahmen des SEStEG durch Änderung des § 6 Abs. 5 AStG umgesetzt.
Erst kürzlich hat der EuGH entschieden, dass eine entsprechende Anwendung dieser Stundungsvorschrift aufgrund des Freizügigkeitsabkommens auch im Verhältnis zur Schweiz geboten ist (EuGH vom 26.02.2019 – Rs. C-581/17, Wächtler).
Für den Fall der (Wieder-)Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht des Anteilsinhabers sieht das Gesetz überdies in den EU-/EWR-Konstellationen bislang vor, dass die festgesetzte Steuer rückwirkend entfällt, ohne dass insoweit eine Befristung besteht (§ 6 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 AStG). In Drittlandsfällen sind hingegen bestimmte Fristen und Anforderungen an die Darlegung einer Rückkehrabsicht zu beachten (vgl. hierzu Grzella, Steuerboard vom 11.12.2019).
Geplante Neufassung des § 6 AStG
Das Grundkonzept des § 6 AStG soll unverändert bleiben. Betroffen sollen künftig aber Steuerpflichtige sein, die innerhalb der letzten zwölf Jahre insgesamt mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig waren (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG-E). Ein Zuzügler aus dem Ausland wäre von der Wegzugsbesteuerung daher künftig früher betroffen als auf Grundlage der heutigen Zehnjahresfrist.
Die bisherige Unterscheidung der Stundungskonzepte soll hingegen aufgegeben werden. Künftig soll die Wegzugsteuer, gleich ob EU-/EWR- oder Drittlandsfall, stets unmittelbar fällig werden oder auf Antrag des Steuerpflichtigen in sieben gleichen (unverzinslichen) Jahresraten entrichtet werden, im Regelfall nur gegen Sicherheitsleistung (§ 6 Abs. 4 AStG-E). Dies bedeutet eine definitiv eintretende Liquiditätsbelastung ohne Einkünftezufluss. Dies wird in vielen Fällen nicht ohne Veräußerung der Anteile realisierbar sein; diese aber wird gerade im Mittelstand nicht immer umsetzbar sein.
Für Fälle einer (Wieder-)begründung der unbeschränkten Steuerpflicht durch den Steuerpflichtigen oder seinen Rechtsnachfolger innerhalb von sieben Jahren soll die festgesetzte Steuer bei fortbestehendem Anteilsbesitz rückwirkend entfallen. Bei durchgehender Rückkehrabsicht soll die Frist auf Antrag um maximal fünf Jahre verlängert werden können (§ 6 Abs. 3 AStG-E). Bei bestehender Rückkehrabsicht soll auf Antrag auch die Erhebung der Jahresraten entfallen (§ 6 Abs. 4 Satz 7 AStG-E).
Inkrafttreten der Gesetzesänderung
Die geänderte Fassung des § 6 AStG soll erstmals für den Veranlagungszeitraum 2020 gelten (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 AStG-E). Betroffen wären also jedenfalls alle Wegzüge ab dem 01.01.2020. Unklar ist jedoch, ob die geänderte Stundungsregelung auch für vor 2020 erfolgte Wegzüge Relevanz entfalten kann, wenn der betroffene Steuerpflichtige noch keinen Stundungsbescheid auf Grundlage des bisherigen § 6 Abs. 5 AStG in Händen hält. Die im Entwurf enthaltene Anwendungsvorschrift sieht vor, dass § 6 AStG in der bisherigen Fassung auf „noch am 31. Dezember 2019 laufende Stundungen“ sowie „noch laufende Fristen im Sinne des § 6 Abs. 3 [AStG a.F.]“ weiter anzuwenden sei (§ 21 Abs. 2 AStG-E). Dies könnte bedeuten, dass auch vor 2020 erfolgte Wegzüge von der Neuregelung betroffen sein sollen, soweit die Steuerfestsetzung und -stundung nicht bis zum 31.12.2019 erfolgt ist. Da das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die im Zeitpunkt des Wegzugs bestehende Stundungsregel in diesem Fall enttäuscht wird, käme dies im Ergebnis einer rückwirkenden Gesetzesänderung nahe, auch wenn der Stundungsbescheid erst 2020 auf Basis des dann geltenden Rechts erginge. Dies erscheint verfassungsrechtlich mindestens zweifelhaft.
Bewertung und Ausblick
Nach dem Referentenentwurf soll § 6 AStG „zeitgemäß“ ausgestaltet werden, die „Anforderungen an die erhöhte Mobilität der Steuerpflichtigen in einer globalisierten Zeit“ sowie die fiskalischen Interessen und Administrierbarkeit würden hierdurch angemessen ausbalanciert (vgl. S. 74 des Entwurfs). Ob dies wirklich der Fall ist, darf bezweifelt werden. Die geplante Neuregelung wird die internationale Mobilität der Anteilseigner von Kapitalgesellschaften, insbesondere von Familienunternehmen, ganz erheblich beschränken.
Ebenso zweifelhaft erscheint, ob die geplante Gesetzesänderung mit der Rechtsprechung des EuGH bzw. den EU-Grundfreiheiten vereinbar ist. Wie bereits dargelegt, beruht die derzeitige Stundungsregelung explizit auf der zur Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen ergangenen EuGH-Rechtsprechung. In jüngeren, die steuerliche „Entstrickung“ betrieblichen Vermögens betreffenden Entscheidungen hat der EuGH allerdings anerkannt, dass eine gestreckte Entrichtung der Steuer in Teilbeträgen über fünf Jahre unionsrechtlich zulässig sei (EuGH vom 23.01.2014 – Rs. C-164/12, DMC; vom 21.05.2015 – Rs. C-657/13, Verder Labtec). Diese Grundsätze sollen nun auf die Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG übertragen werden (vgl. S. 74 des Entwurfs). Von der früheren Rechtsprechung in Bezug auf die Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen hat sich der EuGH in den genannten Entscheidungen jedoch nicht ausdrücklich distanziert. In der in diesem Zusammenhang regelmäßig ebenfalls zitierten Entscheidung in der Rs. National Grid (EuGH vom 29.11.2011 – C-371/10, Tz. 56 f.) hat der EuGH zudem ausdrücklich anerkannt, dass sich Privatpersonen nicht in einer vergleichbaren Situation befinden wie eine Gesellschaft, deren Vermögenswerte unmittelbar wirtschaftlichen, auf Gewinn ausgerichteten Tätigkeiten zugewiesen sind. Noch wesentlich klarer ist die Positionierung des EuGH im jüngst in der Rs. Wächtler ergangenen Urteil. Danach sei die Möglichkeit einer Zahlung der geschuldeten Steuer in Teilbeträgen nicht geeignet, den dem Steuerpflichtigen aus der Wegzugsbesteuerung erwachsenden Liquiditätsnachteil aufzuheben (EuGH vom 26.02.2019 – Rs. C-581/17, Tz. 68). Vor diesem Hintergrund darf die Unionsrechtskonformität der geplanten Neuregelung bezweifelt werden. Davon, dass die in der Rs. National Grid aufgestellten Grundsätze zweifelsfrei auf die Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen übertragbar seien (in diesem Sinne EuGH vom 21.12.2016 – Rs. C-503/14, Kommission/Portugal, Tz. 53), kann jedenfalls nicht mehr ohne Weiteres ausgegangen werden.
Sollte der Gesetzgeber an der beabsichtigten Änderung des § 6 AStG festhalten, wird der EuGH in naher Zukunft Gelegenheit bekommen, zur Frage der Übertragbarkeit der zur „Entstrickung“ von Betriebsvermögen ergangenen Rechtsprechung auf die Wegzugsbesteuerung (nicht unternehmerisch tätiger) natürlicher Personen abschließend Stellung zu beziehen. Bis dahin wird gerade bei Familienunternehmen in vielen Fällen durch geeignete Maßnahmen Vorsorge dafür zu treffen sein, dass die internationale Mobilität der Familie nicht zur Steuerfalle wird.