Die Grunderwerbsteuerbelastung von Umwandlungsvorgängen stellt in vielen Fällen ein bedeutendes Umwandlungshindernis dar. Denn Umwandlungsvorgänge können gleich mehrfach, nämlich auf unmittelbarer wie mittelbarer Ebene Grunderwerbsteuer auslösen. Die Belastung solcher Vorgänge mit Grunderwerbsteuer hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Ursachen hierfür liegen in den teilweise erheblichen Steigerungen bei den Steuersätzen in zahlreichen Bundesländern auf bis zu 6,5% (vormals 3,5%), in der vom Bundesverfassungsgericht verlangten Anhebung der Steuerbemessungsgrundlage auf das Verkehrswertniveau der Grundstücke der von der Umwandlung betroffenen Gesellschaften in § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GrStG und der immer weiter ausgreifenden Gesetzes- und Erlasslage im Bereich der sogenannten Share Deals, bei denen sich der Gesetzgeber gerade anschickt, noch bedeutend weitreichendere Regelungen zu treffen.
Die gesetzliche Regelung
Die Erfassung von Umstrukturierungsvorgängen bei der Grunderwerbsteuer, bei denen es sich regelmäßig um Grundstücksübergänge innerhalb eines Konzerns handelt, stellt eigentlich keine besteuerungswürdigen Rechtsträgerwechsel dar, weil die betroffenen Grundstücke den Wirtschaftskreis des Konzerns nicht verlassen (so wohl Herzig/Bohn, DStR 2009 S. 2341 [2347]). Gleichwohl tat sich der Gesetzgeber schwer, eine sachgerechte Lösung für diese Fälle zu finden. Nach mehreren vergeblichen Anläufen wurde § 6a GrEStG durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22.12.2009 (BGBl. I 2009 S. 3950) mit Wirkung ab 01.01.2010 neu in das Gesetz eingefügt. Hierdurch sollen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers Grundstücksübergänge im Rahmen von Umstrukturierungen bei Umwandlungsvorgängen, bei Änderungen des Gesellschafterbestands einer Personengesellschaft, Anteilsvereinigung bzw. -übertragung und beim Übergang der Verwertungsbefugnis grunderwerbsteuerrechtlich begünstigt werden (BT-Drucks 17/15 S. 21 und 17/147 S. 10).
Die Steuerbefreiung ist an folgende Voraussetzungen geknüpft:
- Es müssen Umwandlungsvorgänge i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UmwG vorliegen. Nur derjenige, der sich der Rechtstechnik des UmwG bedient, kommt in den Begünstigungsbereich des § 6a GrEStG. Neben den Umwandlungsvorgängen sind Einbringungen und andere Vorgänge auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage begünstigungsfähig.
- Der Umwandlungsvorgang muss zu bestimmten steuerbaren Rechtsvorgängen geführt haben, nämlich zu solchen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, § 1 Abs. 2, § 1 Abs. 2a, § 1 Abs. 3 und § 1 Abs. 3a GrEStG
- An dem Rechtsvorgang müssen „ausschließlich“
- entweder ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder
- (mehrere) von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften qualifiziert, nämlich zu mindestens 95% beteiligt sein.
- Die qualifizierte, mindestens 95%-Beteiligung des herrschenden Unternehmens an der oder den abhängigen Gesellschaft(en) muss ununterbrochen im Zeitraum von fünf Jahren vor und fünf Jahren nach dem Umwandlungsvorgang bestanden haben.
Die enge Auffassung der Finanzverwaltung
Die Auslegung von § 6a GrEStG erwies sich von Beginn an als schwierig, weil der Gesetzeswortlaut unscharf, in hohem Maße auslegungsbedürftig und widersprüchlich gefasst ist. Der Gesetzgeber sah sich veranlasst, die Vorschrift gleich dreimal zu korrigieren und „klarstellend“ anzupassen, ohne ihr im Ergebnis die Widersprüche und Unschärfen zu nehmen.
Die Finanzverwaltung tat sich mit der Gesetzesanwendung sehr schwer. Sie hat mit gleich lautenden Ländererlassen vom 19.06.2012 (BStBl. I 2012 S. 662) die Vorschrift aus rein fiskalischen Gründen extrem eng ausgelegt und sie damit dem vom Gesetzgeber intendierten Anwendungsbereich weitgehend entzogen. Diese extrem restriktive Auslegung der Vorschrift durch die Finanzverwaltung wurde von der Fachliteratur fast durchgehend heftig kritisiert. Die Erlasse führten zu großer Verunsicherung bei den Steuerpflichtigen und in der Beraterschaft.
Die BFH-Urteile vom 21.08.2019
Der BFH ist in insgesamt sieben Urteilen vom 21.08.2019 (II R 15/19; II R 16/19; II R 17/19; II R 18/19; II R 19/19; II R 20/19 und II R 21/19) dieser restriktiven Gesetzesauslegung der Finanzverwaltung entgegengetreten.
Begriff des „herrschenden Unternehmens“: Zum Begriff des „herrschenden Unternehmens“ wird in diesen Urteilen ausgeführt, dass der Anwendungsbereich des § 6a GrEStG nicht auf Unternehmen i.S. des UStG beschränkt sei. Vielmehr gelte die Vorschrift mangels näherer gesetzlicher Eingrenzung für alle Rechtsträger i.S. des GrEStG, die wirtschaftlich tätig seien. Dem Wortlaut des § 6a GrEStG lasse sich nicht entnehmen, dass der Begriff des herrschenden Unternehmens nach umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben zu bestimmen sei. Ausweislich der Gesetzesmaterialien habe der Gesetzgeber ersichtlich das Ziel verfolgt, Umstrukturierungen von Unternehmen zu erleichtern und Wachstumshemmnisse zu beseitigen (vgl. Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags, BT-Drucks 17/147 S. 10). Dies betreffe aber Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne wie auch andere Unternehmen gleichermaßen.
Nach Auffassung des BFH steht danach § 6a GrEStG allen Rechtsträgern offen und dies ohne weitere Eingrenzung z.B. hinsichtlich der Rechtsform und der ertragsteuerrechtlichen Zuordnung des unternehmerischen Vermögens. Herrschende Unternehmen können danach Einzelunternehmen, Personen- und Kapitalgesellschaften, sowie natürliche und juristische Personen sein, die wirtschaftlich tätig sind (BFH-Beschluss in BStBl II 2017 S.916, Rn. 29; Viskorf, in: Boruttau, GrEStG-Kommentar, § 6a Rn. 85). Die Beteiligung an den abhängigen Gesellschaften muss für die Anwendung des § 6a GrEStG auch nicht im Betriebsvermögen gehalten werden. Eine solche Anknüpfung an bilanzielle oder ertragsteuerrechtliche Begriffe sei – so der BFH – der Grunderwerbsteuer als Verkehrsteuer fremd. Die Grunderwerbsteuer entstehe unabhängig davon, ob die jeweilige Beteiligung im Betriebs- oder Privatvermögen gehalten werde. § 6a GrEStG sei folglich auch anwendbar, wenn die Beteiligung im Privatvermögen einer natürlichen Person (II R 15/19) oder einer gemeinnützigen Stiftung (II R 19/19) gehalten werde, wenn diese Rechtsträger über Beteiligungen an grundbesitzenden Gesellschaften verfügen.
Vor- bzw. Nachbehaltensfrist: § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG verlangen dem Wortlaut nach den Bestand des dort bestimmten Abhängigkeitsverhältnisses (95%-Beteiligung) innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren vor dem Umwandlungsvorgang (Vorbehaltensfrist) und fünf Jahren nach dem Umwandlungsvorgang (Nachbehaltensfrist). Umwandlungsvorgänge, bei denen innerhalb dieser Fristen eine beteiligte Gesellschaft erlischt oder neu entsteht, fallen nach dem Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG zunächst einmal nicht in den Anwendungsbereich des § 6a GrEStG.
Der BFH legt die Vorschrift aber nach ihrer inneren Systematik und nach ihrem Sinn und Zweck zugunsten der Steuerpflichtigen deutlich weiter aus. Er verweist auf § 6a Satz 1 Hs. 1 GrEStG, der ohne jeden Vorbehalt alle Umwandlungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UmwG einschließe, d.h. insbesondere die Verschmelzung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2 ff. UmwG), die Aufspaltung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 123 Abs. 1 UmwG), die Abspaltung und die Ausgliederung von Vermögen zur Neugründung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 123 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, §§ 124 ff. UmwG) sowie die Vermögensübertragung (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, §§ 174 ff. UmwG).
Der Gesetzeszweck schließe auch solche Umwandlungsvorgänge ein, durch die ein Konzern beendet oder neu begründet werde. Es sei kein sachlicher Grund erkennbar, nur bestimmte Umwandlungsvorgänge, z.B. Verschmelzungen auf Schwestergesellschaften, zu begünstigen, zumal die Begünstigungswirkungen des § 6a GrEStG nach der Vorstellung des Gesetzgebers allen Begünstigungsadressaten möglichst gleichmäßig zugutekommen und die Erfassung aller Umwandlungsvorgänge einer gleichmäßigen Wirkung der Begünstigung dienen sollten (BT-Drucks 17/147 S. 10).
Die gegenteilige Auffassung der Finanzverwaltung finde – so der BFH – weder im Wortlaut oder in der Systematik des § 6a GrEStG noch in den Gesetzesmaterialien eine Stütze. Es sei kein gesetzesimmanenter sachlicher Grund dafür ersichtlich, z.B. die Verschmelzung auf eine Schwestergesellschaft bei Erfüllen der Nachbehaltensfrist durch die aufnehmende Gesellschaft zu begünstigen, die Abspaltung oder Ausgliederung auf eine neu gegründete Schwestergesellschaft bei Erfüllen der Vorbehaltensfrist durch die abgebende Gesellschaft hingegen nicht. Beide Umwandlungsvorgänge seien lediglich das wirtschaftliche und rechtliche Spiegelbild des jeweils anderen Umwandlungsvorgangs und fänden innerhalb des Konzerns ohne Beteiligung Dritter statt. Dasselbe gelte für die (vertikale) Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf die Muttergesellschaft oder einer Enkelgesellschaft auf die Tochtergesellschaft und – spiegelbildlich – die Abspaltung oder Ausgliederung auf solche Gesellschaften.
Die weite Auslegung des BFH steht schließlich auch nicht im Widerspruch zu dem durch die Vor- und Nachbehaltensfristen verfolgten Zweck, ungewollte Mitnahmeeffekte zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 17/147 S. 10). In Verschmelzungsfällen (II R 17/19) muss nach § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG die Vorbehaltensfrist gewahrt sein, d.h. das qualifizierte Abhängigkeitsverhältnis muss vor dem Umwandlungsvorgang fünf Jahre bestanden haben. Kurzfristige Gestaltungen, wie sie § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG in Anlehnung an §§ 5 und 6 GrEStG verhindern will (vgl. BT-Drucks. 17/147 S. 10), sind folglich auch in Verschmelzungs-, Abspaltungs- oder Ausgliederungsfällen ausgeschlossen.
Kein Verstoß gegen Unionsrecht
Die außerordentlich lange Verfahrensdauer vor dem BFH ist dem Umstand geschuldet, dass es in diesen Verfahren einer Klärung der Frage durch den EuGH bedurfte, ob § 6a GrEStG gegen Unionsrecht verstößt. Diese Frage ist nunmehr geklärt (vgl. EuGH vom 19.12.2018 – C-374/17, A-Brauerei, EU:C:2018:1024). Die Regelung stellt keine Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV dar. Die Vorschrift wirkt zwar selektiv, weil sie bestimmte Gesellschaften im Hinblick auf die bei einem Rechtsträgerwechsel anfallende Grunderwerbsteuer begünstigt; dies ist jedoch durch die Natur und den Aufbau des Systems der Grunderwerbsteuer gerechtfertigt (vgl. EuGH vom 19.12.2018, a.a.O., Rn. 44 ff.).
Bewertung der Entscheidungen
Die Urteile des BFH überzeugen in jeder Hinsicht. Sie beenden eine sehr lange Zeitspanne der Rechtsunsicherheit und schaffen für Steuerpflichtige und ihre Berater vorerst die langersehnte Planungssicherheit. Gespannt sein dürfen wird man auf die Reaktion der Finanzverwaltung, insbesondere darauf, ob diese an ihrer restriktiven Auffassung festhalten oder den Gesetzgeber zu einer Gesetzeseinschränkung veranlassen wird. Ob Letzteres erfolgreich sein wird, kann nicht vorausgesagt werden. M.E. besteht für die Steuerpolitik kein Handlungsbedarf, weil die Urteile des BFH gerade auf dem in den Gesetzesmaterialien erkennbar gewordenen Willen des Gesetzgebers beruhen und der BFH diesem mit seinen Urteilen erkennbar zum Durchbruch verhelfen will. Für eine Beschränkung der Vorschrift besteht m.E. nur ein geringer Handlungsspielraum, weil es hierfür tragfähiger Differenzierungsgründe bedarf. Fiskalgründe reichen nicht aus.