Der Entwurf des JStG 2020 enthält Anpassungen an EU-Recht, an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie Reaktionen auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Diese Vorgaben werden in zahlreichen Neuregelungen und Anpassungen sowohl im Rahmen des Einkommen- und des Umsatzsteuergesetzes als auch auf dem Gebiet des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts sowie weiterer Steuerrechtsgebiete umgesetzt. Im Folgenden werden die einzelnen Änderungen des Erbschaftsteuergesetzes sowie ihre Bedeutung für die Praxis dargestellt.
I. Abfindung für Vermächtnis
Nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 ErbStG n.F. wird eine Abfindung für ein angenommenes Vermächtnis gewährt, das wegen der Annahme nicht mehr ausgeschlagen werden kann. Die alte Fassung enthielt einen Verweis auf eine Ausschlagungsfrist, die nach dem maßgeblichen Erbrecht für ein Vermächtnis nicht existiert. Durch diese Änderungen erfolgt somit lediglich eine Klarstellung ohne materielle Auswirkung.
II. Fiktiver Zugewinnausgleich
§ 5 Abs. 1 ErbStG gewährt im Falle des Todes eines Ehegatten dem überlebenden Ehegatten eine Steuerbefreiung in Höhe der Ausgleichsforderung, die er als Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 2 BGB hätte geltend machen können, wenn er nicht Erbe geworden wäre und ihm auch kein Vermächtnis zustünde. Diese Befreiung wirkt wie ein zusätzlicher Freibetrag.
Durch die Neuregelung soll eine nicht gerechtfertigte Doppelbegünstigung des überlebenden Ehegatten beseitigt werden, die dadurch entsteht, dass bei Errechnen der Ausgleichsforderung nach den bürgerlich-rechtlich maßgebenden Verkehrswerten des Anfangs- und Endvermögens nicht berücksichtigt wurde, ob für das im Endvermögen enthaltene Nachlassvermögen erbschaftsteuerliche Steuerbefreiungen gewährt wurden. Steuerbefreiungen in diesem Sinne sind etwa Befreiungen für denkmalgeschützte Erwerbsgegenstände, für Familienheime oder für steuerentlastetes Unternehmensvermögen (§§ 13a bis 13c ErbStG).
Vorgesehen ist, die abzugsfähige fiktive Ausgleichsforderung nach dem Verhältnis zwischen dem um die Steuerbefreiungen geminderten Wert des Endvermögens zum Wert des Endvermögens zu mindern. Bei Entfallen oder rückwirkender Minderung sowie erstmaliger Gewährung oder rückwirkender Erhöhung einer Steuerbefreiung wird die Steuerfestsetzung geändert und die abzugsfähige Zugewinnausgleichsforderung neu berechnet.
Ein Zugewinnausgleich zu Lebzeiten (vgl. § 5 Abs. 2 ErbStG) ist von dieser neuen Regelung nicht erfasst. Gleiches gilt für den Fall, dass der Zugewinnausgleich nach § 1371 BGB erfolgt, der überlebende Ehegatte also weder Erbe noch Vermächtnisnehmer wird oder das Erbe ausschlägt (und den sog. kleinen Pflichtteil geltend macht).
III. Steuererstattung des Todesjahres
Nach der Rechtsprechung des BFH fallen Einkommensteuererstattungsansprüche, die das Todesjahr des Erblassers betreffen, nicht in den steuerpflichtigen Erwerb nach § 10 Abs. 1 ErbStG, weil sie erst mit Ablauf des Todesjahres entstehen (vgl. BFH vom 16.01.2008 – II R 30/06, BStBl. II 2008 S. 626 = DB 2008 S. 1191). Vom Erblasser herrührende Steuerschulden für das Todesjahr sind jedoch als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig (vgl. BFH vom 04.07.2012 – II R 15/11, BStBl. II 2012 S. 790 = DB 2012 S. 790).
Die gesetzliche Neuregelung sieht vor, dass künftig sowohl die das Todesjahr des Erblassers betreffenden Steuererstattungsansprüche anzusetzen als auch die Steuerschulden abzuziehen sind. Hierdurch soll die Ungleichbehandlung zwischen Steuererstattungsansprüchen und Steuerschulden, die das Todesjahr des Erblassers betreffen, beseitigt werden.
Die neue Regelung ist ungünstig für den Steuerpflichtigen. Der Abzug von Nachlassverbindlichkeiten bleibt unverändert, während sich der Wert des Nachlasses durch die Einbeziehung von Erstattungsansprüchen, die bei Tod des Erblassers rechtlich noch nicht entstanden sind, erhöht. Wieder einmal wird eine für den Fiskus nachteilige Rechtsprechung des BFH „auf dem Gesetzeswege“ ausgehebelt.
IV. Abzugsfähigkeit von Schulden und Lasten
Der BFH sieht in seiner Rechtsprechung den von § 10 Abs. 6 ErbStG a.F. vorausgesetzten wirtschaftlichen Zusammenhang nur als gegeben an, wenn Schulden oder Lasten bestimmten zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenständen zugeordnet werden können (vgl. BFH vom 22.07.2015 – II R 12/14, BStBl. II 2016 S. 230 = DB 2015 S. 2247; vom 22.07.2015 – II R 21/13, BStBl. II 2016 S. 228). Nach dieser Rechtsprechung konnten die in den Urteilen angesprochenen Schulden und Lasten in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden, selbst wenn zum Nachlass ganz oder teilweise steuerbefreite Vermögensgegenstände gehören. Allerdings hat der BFH in den genannten Urteilen darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber ein allgemeines Abzugsverbot anordnen könne und den Ball damit quasi auf den Elfmeterpunkt gelegt. Das JStG 2020 will diesen Strafstoß verwandeln, denn die Gesetzesbegründung führt aus: „Ein solcher Regelungsbedarf besteht.“ (BR-Drucks. 19/22850, S.173).
De lege ferenda sollen Schulden und Lasten, die in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einzelnen Vermögensgegenständen stehen, anteilig allen Vermögensgegenständen des Erwerbs zugerechnet werden. Kosten der Bestattung des Erblassers oder der Abwicklung oder Regelung des Nachlasses sollen hiervon ausgenommen sein. Der Anteil der jeweiligen Schuld oder Last, der dem einzelnen Vermögensgegenstand zugerechnet wird, soll sich bemessen nach dem Verhältnis des Werts des jeweiligen Vermögensgegenstands nach Abzug der mit diesem in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Schulden und Lasten zum Gesamtwert der Vermögensgegenstände nach Abzug aller mit diesen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Schulden und Lasten. Eine Steuerbefreiung nach §§ 13a, 13c ErbStG wird auf den Gesamtbetrag des begünstigten Vermögens gewährt, sodass bei der Aufteilung der wirtschaftlich nicht direkt zurechenbaren Schulden nicht auf den einzelnen Vermögensgegenstand, sondern auf die Summe des begünstigten Vermögens abzustellen ist.
V. Ersatzerbschaftsteuer: Bemessungsgrundlage
§ 10 Abs. 8 ErbStG n.F. stellt klar, dass auch die Ersatzerbschaftsteuer gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG die steuerliche Bemessungsgrundlage nicht mindert.
VI. Gesonderte Feststellung (§ 13a Abs. 9 ErbStG)
In § 13a Abs. 9a ErbStG n.F. wird die gesonderte Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Abschlag für erbschaftsteuerliche Familienunternehmen und dessen Höhe durch das zuständige Betriebsfinanzamt angeordnet. Die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Abschlag erfolgt auf den Zeitpunkt der Steuerentstehung und betrifft die Gewährung des Abschlags. Hieraus ergibt sich keine Bindungswirkung für die Prüfung, ob die Voraussetzungen über den Zeitraum von 20 Jahren nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung eingehalten werden. Mit dieser langen Bindungsfrist mit Fallbeil-Wirkung dürfte die Norm weiter ein Schattengewächs bleiben.
VII. Drittstaaten-Betriebsstätte: Gesonderte Feststellung von Sockelbetrag, Finanzmittel sowie des nichtbegünstigten Betriebsvermögens
Nach § 13b Abs. 10 Satz 1 ErbStG n.F. erfolgt die Feststellung des zum übertragenen Betriebsvermögen gehörenden Vermögens einer in einem Drittstaat belegenen Betriebsstätte und das Vorliegen der Voraussetzungen für den Sockelbetrag in Zukunft gesondert durch das zuständige Betriebsfinanzamt. Auch hier spricht die Gesetzesbegründung davon, dass das gesamte Verfahren sowohl für den Steuerpflichtigen als auch für die Finanzverwaltung übersichtlicher und einfacher zu handhaben werde. Richtig dürfte vor allem sein, dass Änderungen der (Folge-) Erbschaftsteuerbescheide aufgrund der gesonderten Feststellungsbescheide (Grundlagenbescheide) und der damit verbundenen zweijährigen „Auswertungsfrist“ länger möglich sein werden (vgl. § 171 Abs. 10 AO).
VIII. Rückwirkendes Ereignis für Vorerwerb
Mehrere Erwerbe, die von derselben Person innerhalb von zehn Jahren anfallen, sind gem. § 14 ErbStG bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer des jeweils letzten Erwerbs im Zehnjahreszeitraum mit diesem letzten Erwerb zusammenzurechnen. Die einzelnen Erwerbsvorgänge verlieren dabei aus steuerlicher Sicht jedoch nicht ihre Selbstständigkeit.
Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine geänderte Steuerfestsetzung für den Vorerwerb für sich allein gesehen kein rückwirkendes Ereignis, welches die Änderung der Steuerfestsetzung für den nachfolgenden Erwerb zulässt (vgl. BFH vom 12.07.2017 – II R 45/15, BStBl. II 2017 S. 1120 = DB 2017 S. 2010).
De lege ferenda wird eine Änderungsmöglichkeit zur Korrektur einer Steuerfestsetzung für den nachfolgenden Erwerb für den Fall geschaffen, dass die Steuerfestsetzung für einen Vorerwerb aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses geändert wird. Auch der erstmalige Erlass, die Änderung und die Aufhebung einer Steuerfestsetzung für einen Vorerwerb soll als rückwirkendes Ereignis für die Steuerfestsetzung des nachfolgenden Erwerbs anzusehen sein.
IX. Sonstige Änderungen
Es wird klargestellt, dass die Pflicht zur Anzeige des Erwerbs sowie zur Abgabe der Steuererklärung auch in Fällen der Ersatzerbschaftsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG gilt. Das Finanzamt fordert die Erklärung von der Stiftung, dem Verein, dem Familienmitglied oder dem Mitglied des Vereins an.
X. Anwendung
Die neuen Regelungen sollen auf Erwerbe Anwendung finden, für die die Steuer nach dem Tag der Verkündung des JStG 2020 im Bundesgesetzblatt entsteht. Die Zustimmung des Bundesrates dürfte aber nach dem bislang bekannten Zeitplan wohl erst am Freitag vor Weihnachten erfolgen.
XI. Folgen für die Praxis
Durch die Änderungen im Rahmen des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts tritt insgesamt eine ungünstigere Lage für den Steuerpflichtigen ein. Insbesondere die Neufassungen zum fiktiven Zugewinnausgleich und zur Nicht-Abzugsfähigkeit von Schulden und Lasten erfordern jetzt ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit bei der Planung der Unternehmens- und Vermögensnachfolge. Zudem ist eine weitere Verkomplizierung und Bürokratisierung der Erbschaftsteuer auf Kosten der Familienunternehmen, ihrer Berater und der Finanzverwaltung festzustellen.