Die Übertragung von Vermögen unter Nießbrauchsvorbehalt stellt ein verbreitetes und legitimes Gestaltungsmittel im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge dar. Es ermöglicht dem Vermögensträger eine frühzeitige Übertragung der Vermögenssubstanz auf seinen Nachfolger unter gleichzeitigem Zurückbehalt einer lebenslangen Einkunftsquelle. Neben der finanziellen Absicherung bietet ein vorbehaltener Nießbrauch Einflussnahmemöglichkeiten und senkt gleichzeitig den Wert (und damit die Steuerlast) einer etwaigen Schenkung. Im Hinblick auf die Übertragung von Mitunternehmeranteilen unter Vorbehaltsnießbrauch ist es in der jüngeren Vergangenheit jedoch zu größeren Diskussionen über die steuerlichen Folgen entsprechender Gestaltungen gekommen. Teilweise wurden diese durch die Finanzverwaltung zwischenzeitlich wieder ausgeräumt. Zudem hat sich in der Literatur ein interessanter Lösungsansatz herausgebildet, der Anlass dieses Beitrags ist.
Steuerliche Behandlung in der Vergangenheit
In der steuerberatenden Praxis hatte sich in der Vergangenheit das Modell der sog. doppelten Mitunternehmerstellung etabliert. Hierbei wurde die im Schenkungsvertrag vorbehaltene Nießbrauchsvereinbarung so ausgestaltet, dass sowohl der den Mitunternehmeranteil erwerbende Neu-Gesellschafter als auch der übertragende Nießbraucher (Schenker) die Voraussetzungen an eine Mitunternehmerstellung erfüllen. Hierzu wurden die Vermögens- und Verwaltungsrechte so zwischen Nießbraucher und Gesellschafter aufgeteilt, das beide über ausreichend Mitunternehmerrisiko und die Möglichkeit zur Entfaltung von Mitunternehmerinitiative verfügen. Dabei stehen dem Nießbraucher laufende Erträge und das Stimmrecht in laufenden Angelegenheiten zu, während der Gesellschafter das Stimmrecht in Grundlagengeschäften ausübt und an den stillen Reserven partizipiert (sog. diagonale Spaltung des Anteils). Auf diese Weise fand sowohl die ertragssteuerliche Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG Anwendung als auch die schenkungsteuerlichen Begünstigungsvorschriften für Betriebsvermögen (§§ 13a, b ErbStG). Gleichzeitig erzielte der Nießbraucher weiterhin gewerbliche Einkünfte (relevant für die Aufteilung der Steuerlast zwischen Nießbraucher und Gesellschafter). Zwar war diese Aufteilung nie ausdrücklich vom BFH bestätigt worden, jedenfalls der für Erbschaftsteuer zuständige II. Senat ging in seinen Urteilen aber ganz offensichtlich von der Zulässigkeit einer doppelten Mitunternehmerstellung aus.
Diskussionen in den letzten Jahren
Aus zwei Gründen ist in den letzten Jahren eine Diskussion um die Zulässigkeit des beschriebenen Vorgehens entbrannt. Zum einen hatte der X. Senat mit Urteil vom 25.01.2017 (X R 59/14, DB 2017 S. 1813) die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG in einem Fall versagt, in dem ein Einzelunternehmen unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen wurde. Nach Auffassung des X. Senats fehle es aufgrund des Nießbrauchs an der erforderlichen Einstellung der Tätigkeit des Übertragenden. Zum anderen hatte der IV. Senat in einem obiter dictum vom 19.07.2018 (IV R 10/17) grundsätzliche Zweifel an der Zulässigkeit einer doppelten Mitunternehmerstellung geäußert.
Keine Anwendung der Rechtsprechung des X. Senats auf Mitunternehmeranteile
Zwischenzeitlich konnte die Befürchtung ausgeräumt werden, der Nießbrauchsvorbehalt am Mitunternehmeranteil stünde der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 EStG grundsätzlich entgegen. Denn die Finanzverwaltung hat mit BMF-Schreiben vom 20.11.2019 klargestellt, dass die neue Rechtsprechung des X. Senats zur Übertragung von Einzelunternehmen unter Nießbrauchsvorbehalt nicht auf Mitunternehmeranteile anwendbar ist (hierzu ausführlich Viskorf/Wegener, ZEV 2020 S. 85). Diese Ansicht ist aus Sicht des Steuerpflichtigen begrüßenswert und gut begründbar. Leider führt sie zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung zwischen Einzelunternehmen und Mitunternehmeranteilen. Diesen Widerspruch zur Gleichstellungsthese und Art. 3 GG hätte sich der X. Senat ersparen können, wenn er die Grundsätze der Betriebsverpachtung auf die Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt ausgedehnt hätte, wie dies seit Jahrzehnten durch den IV. Senat für land- und forstwirtschaftliche Betriebe praktiziert wird.
Weiterhin Zweifel an der doppelten Mitunternehmerstellung
Weiterhin ungeklärt ist hingegen die Frage der Zulässigkeit einer doppelten Mitunternehmerstellung von Nießbraucher und Gesellschafter. Es ist zu befürchten, dass sich die durch den IV. Senat losgetretene Diskussion fortsetzen wird. Jedenfalls hat es der II. Senat – der in der Vergangenheit von der Zulässigkeit einer doppelten Mitunternehmerstellung ausgegangen war – versäumt, sich in seinen jüngeren Entscheidungen ausdrücklich zu dieser Frage zu positionieren und ggf. dem IV. Senat entgegen zu stellen. Warum dies für den Praktiker im Ergebnis jedoch ohne größere Folgen bleiben könnte, legt Stein in DStR 2021 S. 1679 ff. dar:
Neuer Ansatz in der Literatur
Eine sich im Vordringen befindliche Ansicht in der Literatur könnte die Auffassung des IV. Senats mit den Bedürfnissen der Praxis in Einklang bringen. Nach dem von Stein als „modifizierte Einheitstheorie“ bezeichneten Ansatz, würde zwar nur ein Mitunternehmeranteil an der Ursprungsgesellschaft bestehen, gleichzeitig käme es aber zur Begründung einer zusätzlichen Mitunternehmerschaft zwischen Gesellschafter und Nießbraucher in Form einer (steuerlich fingierten) Innengesellschaft auf Grundlage der getroffenen Nießbrauchsvereinbarung. Im Ergebnis bestünde also eine doppelstöckige Mitunternehmerschaft mit der Folge, dass sowohl Gesellschafter als auch Nießbraucher als Mitunternehmer der ursprünglichen Gesellschaft zu betrachten wären (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG), obwohl streng genommen nur eine Mitunternehmerstellung an der ursprünglichen Gesellschaft besteht, die von der zweiten Mitunternehmerschaft ausgefüllt wird. Über eine separate einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung wären die Einkünfte zwischen Gesellschafter und Nießbraucher aufzuteilen und jeweils von diesen zu versteuern.
Stellungnahme
Sollte sich die Dogmatik des IV. Senats zur Unzulässigkeit der doppelten Mitunternehmerstellung durchsetzen, bietet der beschriebene Ansatz eine elegante und praxistaugliche Lösung.
Dennoch ist dieser Kunstgriff nicht notwendig. Denn die Bedenken des IV. Senats sind unbegründet. Zutreffend ist, dass wirtschaftliches Eigentum an einem Gesellschaftsanteil bzw. Mitunternehmeranteil nur einer Person zustehen kann und nicht teilbar ist. Wirtschaftliches Eigentum ist aber keine Voraussetzung für eine Mitunternehmerstellung. Vielmehr genügt neben Mitunternehmerrisiko und der Möglichkeit zur Entfaltung von Mitunternehmerinitiative nach gefestigter und senatsübergreifender Rechtsprechung ein mit einem Gesellschaftsverhältnis vergleichbares Gemeinschaftsverhältnis. Der mit entsprechendem Stimmrecht in laufenden Angelegenheiten ausgestattete Nießbraucher ist dafür gerade das Paradebeispiel. Ohne wirtschaftlicher Eigentümer des Gesellschaftsanteils zu sein, trifft er unternehmerische Entscheidungen, partizipiert am unternehmerischen Erfolg und ist in das Rechts- und Pflichtengefüge der Gesellschaft (Treuepflicht) eingebunden.
Soweit der IV. Senat seine dogmatischen Bedenken also auf fehlendes wirtschaftliches Eigentum stützt – andere Begründungsansätze sind nicht erkennbar – wäre hiervon nicht nur die Unzulässigkeit einer doppelten Mitunternehmerstellung betroffen. Vielmehr würde der IV. Senat auf diese Weise die an eine Mitunternehmerstellung zu stellenden Voraussetzungen insgesamt und ganz grundsätzlich – unabhängig von etwaigen Nießbrauchskonstellationen – um eine weitere Voraussetzung (wirtschaftliches Eigentum) erweitern. Freilich wird die ganz überwiegende Zahl der Fälle diese Voraussetzung ohnehin erfüllen. Tatsächlich wäre es dennoch eine Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich der Voraussetzungen an eine Mitunternehmerstellung, die eine Anrufung des Großen Senats erforderlich erscheinen lässt.