BGH fällt Grundsatzurteil zum Schadensersatz bei Kartellverstößen

Philipp Werner, Partner, McDermott Will & Emery

RA Philipp Werner, Partner bei McDermott Will & Emery, Brüssel

In einem richtungsweisenden Grundsatzurteil hat der BGH am 28. 6. 2011 – KZR 75/10 entschieden, dass sich Mitglieder eines Kartells gegen Schadensersatzansprüche mit dem Einwand verteidigen können, dass die Kläger den entstandenen Schaden über höhere Preise an eine nachgelagerte Marktstufe durchgereicht haben (sog. „passing-on defence“). Zugleich hat der BGH entschieden, dass auch indirekte Abnehmer Schadensersatz wegen des Kartellverstoßes verlangen können.

Das Urteil ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Im Zuge der europäischen Bemühungen zur privaten Kartellrechtsdurchsetzung haben Schadensersatzklagen gegen Kartellanten auch in Deutschland an Zahl und Bedeutung zugenommen. In den meisten Fällen geht es im Prozess materiell ausschließlich um die Schadenshöhe, da der Kartellverstoß bereits durch eine das Gericht nach § 33 Abs. 4 GWB bindende kartellbehördliche Entscheidung festgestellt wurde.

Den Kartellanten drohen daher neben Bußgeldern auch Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe. Die Höhe des Schadensersatzes ergibt sich im Ansatz aus der Differenz zwischen dem Kartellpreis und einem hypothetischen Marktpreis ergibt. Durch die „passing-on defence“ kann sich der Schadensersatz aber beträchtlich verringern. Ökonomische Studien zeigen, dass theoretisch direkte Abnehmer den höheren Kartellpreis zu einem wesentlichen Teil an ihre Abnehmer durchreichen. In der Praxis kann der Nachweis der Schadensweiterreichung aber schwierig sein, da die Beklagte in der Regel nicht über Informationen zu den von den Klägern im weiteren Absatz berechneten Preisen verfügen wird.

Die Zulässigkeit der „passing-on defence“ war von der Vorinstanz sowie vom KG Berlin mit unterschiedlichen Begründungen verneint, vom OLG Düsseldorf aber bejaht worden. Auch in der Literatur war die Frage heftig umstritten. So war u. a. fraglich, ob § 33 Abs. 3 Satz 2 GWB („Wird eine Ware oder Dienstleistung zu einem überteuerten Preis bezogen, so ist der Schaden nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Ware oder Dienstleistung weiterveräußert wurde“) diesen Einwand ausschloss. Es wurde auch argumentiert, dass die „passing-on defence“ die Effektivität der privaten Kartellrechtsdurchsetzung in Frage stellen würde. Demgegenüber hat der BGH klargestellt, dass die Weiterreichung des Schadens nach den allgemeinen Grundsätzen der Schadensberechnung zu berücksichtigen ist.

Ob indirekte Abnehmer angesichts der geringeren Schadenssummen und der offenkundigen Beweisschwierigkeiten in größerem Maße von ihrer Klagebefugnis Gebrauch machen werden, ist fraglich. Es steht daher zu erwarten, dass der weitergereichte Teil des durch ein Kartell entstandenen Schadens in der Praxis nicht geltend gemacht werden wird.

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