BGH erleichtert Schadensersatz bei Vergabefehlern

RA Holger Schröder, Rödl & Partner, Nürnberg

Nach gewohnheitsrechtlichen Grundsätzen (sog. Verschulden bei Vertragsanbahnung) konnte einem Bieter unter Umständen ein Schadensersatzanspruch gegen den öffentlichen Auftraggeber zustehen, wenn dieser gegen Vergaberecht verstoßen hat. Der BGH hat kürzlich in einem Urteil vom 9. 6. 2011 – X ZR 143/10, DB0426167 dazu entschieden, dass nach der Kodifikation der Rechtsfigur der culpa in contrahendo durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz für die Geltendmachung eines solchen Schadensersatzanspruches kein Vertrauen des Bieters mehr in die Einhaltung der Vergaberegelungen durch den öffentlichen Auftraggeber erforderlich ist. Vielmehr genügt die Verletzung von vorvertraglichen Rücksichtnahmepflichten wegen Missachtung von Vergabevorschriften.

In dem entschiedenen Fall hat die Klägerin einen Anspruch aus §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz aufgewendeter Rechtsanwaltskosten für die Überprüfung von Vergabeunterlagen geltend gemacht. Sie hatte sich an einem Vergabeverfahren des beklagten öffentlichen Auftraggebers beteiligt, dass wegen vergaberechtswidriger Wertungskriterien aufgehoben wurde.

Der BGH bestätigte den Schadensersatzanspruch der Klägerin aus Verschulden bei Vertragsanbahnung. Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung hält der BGH nicht länger an dem Erfordernis eines zusätzlichen Vertrauenselements fest. Bislang konnte ein Bieter nach Aufhebung eines Vergabeverfahrens ohne vergaberechtlich anerkannten Grund nur dann Schadensersatz aus Verschulden bei Vertragsanbahnung geltend machen, wenn er sich ohne Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens hieran entweder gar nicht oder nicht so wie geschehen beteiligt hätte (vgl. BGH-Urteil vom 27. 11. 2007 – X ZR 18/07, DB 2008 S. 10).

Nach Auffassung des BGH kann aus dem Wortlaut der §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1 BGB ein besonderes Vertrauen des Bieters etwa als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal nicht hergeleitet werden. Dafür besteht auch kein Bedürfnis, weil die Verhaltenspflichten des öffentlichen Auftraggebers durch das Vergaberecht eingehend geregelt sind. Nach § 97 Abs. 7 GWB hat der öffentliche Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einzuhalten, woran die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB anknüpfen.

Des Weiteren führt der BGH aus, die Klägerin mache einen vom Schutzzweck der Normen gedeckten, erstattungsfähigen Schaden geltend. Der Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Rechtsanwaltskosten wären der Klägerin auch entstanden, wenn der Beklagte sich vergaberechtskonform verhalten hätte. Der Schutz des § 241 Abs. 2 BGB greift bereits dann, wenn die Vergabeunterlagen in der Weise fehlerhaft seien, dass eine vergaberechtskonforme Angebotswertung nicht mehr möglich ist. Ein Schuldverhältnis, das einen Teil zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichte, entsteht gem. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB bereits durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen und demzufolge auch bei der Durchführung eines Vergabeverfahrens. Werden die Vertragsverhandlungen auf Grundlage der vom öffentlichen Auftraggeber ausgearbeiteten Vergabeunterlagen geführt, trifft diesen die Pflicht, seine Unterlagen vergaberechtskonform zu formulieren, dass keine Aufhebung des Vergabeverfahrens erforderlich wird. Die Bieter haben ein geschütztes Interesse daran, dass der öffentliche Auftraggeber das Verfahren so gestaltet und durchführt, dass die von ihnen getätigten Aufwendungen nicht unnütz und damit nutzlos werden.

Die Entscheidung des BGH stärkt die Rechtsposition von Bietern, die Schadensersatzansprüche geltend machen, die auf ein vergaberechtliches Fehlverhalten des öffentlichen Auftraggebers vor Vertragsabschluss gestützt sind. Denn ein aus Verschulden bei Vertragsanbahnung hergeleiteter Schadensersatzanspruch erfordert kein zusätzliches Vertrauenselement mehr.

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