Leiharbeitnehmer wählen – und zählen

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. André Zimmermann, Allen & Overy LLP, Frankfurt/M.

Das BAG hat entschieden, dass Leiharbeitnehmer im Einsatzbetrieb für den Schwellenwert des Kündigungsschutzgesetzes mitzuzählen sind, wenn ihr Einsatz auf einem in der Regel vorhandenen Personalbedarf beruht (Urt. vom 24. 1. 2013 – 2 AZR 140/12, DB v. 26.01.2013, PM Nr. 6/13). Damit bricht das Gericht mit der nahezu einhelligen Meinung und der Rechtsprechung mehrerer Landesarbeitsgerichte. Das kann dazu führen, dass nun wesentlich mehr Betriebe unter den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fallen.

Der allgemeine Kündigungsschutz gilt nach § 23 Abs. 1 Satz 3 Kündigungsschutzgesetz nur in Betrieben, in denen in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Das BAG musste jetzt entscheiden, ob im Einsatzbetrieb Leiharbeitnehmer mitzuzählen sind.

Die Beklagte beschäftigte zehn Arbeitnehmer. Im November 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich fristgemäß. Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, bei der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer seien auch die Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, so dass die Schwelle von 10 Arbeitnehmern überschritten sei.

Das BAG sah es ebenso. Die Instanzgerichte hatten die Klage noch abgewiesen. Bei der Berechnung der Betriebsgröße seien Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, wenn ihr Einsatz auf einem in der Regel vorhandenen Personalbedarf beruhe. Das folge aus Sinn und Zweck der Regelung. Der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern stehe nicht schon entgegen, dass sie kein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber begründet haben. Die Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes solle der dort häufig engen persönlichen Zusammenarbeit, ihrer zumeist geringen Finanzausstattung und dem Umstand Rechnung tragen, dass der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bring, die Inhaber kleinerer Betriebe typischerweise stärker belaste. Das, so der Senat, rechtfertige keine Unterscheidung danach, ob die den Betrieb kennzeichnende regelmäßige Personalstärke auf dem Einsatz eigener oder entliehener Arbeitnehmer beruhe.

Bislang gingen Rechtsprechung und die ganz überwiegenden Literaturmeinungen davon aus, dass Leiharbeitnehmer nur beim Zeitarbeitsunternehmen für den Schwellenwert des Kündigungsschutzgesetzes zählen, nicht aber (auch) im Einsatzunternehmen. Selbst das Landesarbeitsgericht Berlin, das sicher nicht im Verdacht steht, im Arbeitgeberlager zu stehen, sah es so (LAG Berlin vom 30. 1. 2001 – 3 Sa 2125/00). Die bisherige Rechtsprechung führte vor allem an, dass der Gesetzgeber – in Kenntnis dieser Rechtsprechung – die Regelung nicht angepasst habe. So sei 2001 eine Regelung zum Wahlrecht von Leiharbeitnehmern im Einsatzbetrieb in das Betriebsverfassungsgesetz aufgenommen worden. Der Gesetzgeber habe aber offenbar keinen Anlass gesehen, eine vergleichbare Regelung zur Stellung der Leiharbeitnehmer in das Kündigungsschutzgesetz aufzunehmen (vgl. LAG Nürnberg vom 27. 7. 2011 – 4 Sa 713/10).

Ganz überraschend kommt die Entscheidung nicht. Schon zum Schwellenwert zur Auslösung der Mitbestimmungsrechte bei Betriebsänderungen nach § 111 BetrVG hatte das BAG Ende 2011 entschieden, dass Leiharbeitnehmer mitzählen, die länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden (BAG vom 18. 10. 2011 – 1 AZR 336/10).

Im März wird das BAG darüber entscheiden, ob Leiharbeitnehmer – entgegen der bisherigen Rechtsprechung – bei der Größe des Betriebsrats (§ 9 BetrVG) zu berücksichtigen sind (7 ABR 69/11). Für gestellte Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst hat das BAG das für die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder (§ 38 BetrVG) bejaht (BAG vom 15. 12. 2011 – 7 ABR 65/10, DB v. 23.12.2011, S. 20). Allerdings enthält das Betriebsverfassungsgesetz für diese Arbeitnehmer eine Sonderregelung, die eine generelle Gleichstellung mit Arbeitnehmern im Betriebsverfassungsrecht vorsieht.

Dennoch ist in der Rechtsprechung eine Tendenz erkennbar, Leiharbeitnehmer bei arbeitsrechtlichen Schwellenwerten zu berücksichtigen: So hatte das Arbeitsgericht Offenbach (vom 22. 8. 2012 – 10 BV 6/11) kürzlich entgegen der Rechtsprechung der Zivilgerichte entschieden, dass Leiharbeitnehmer für den Schwellenwert des Mitbestimmungsgesetzes mitzuzählen sind.

 

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