Schon seit langem (siehe dazu bereits den Beitrag des Autors) wird zwischen Betriebsratsmitgliedern und Arbeitgebern darüber gestritten,
1. ob Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) ist,
2. ob für Betriebsratstätigkeit damit die Höchstgrenzen des ArbZG gelten,
3. ob der Arbeitgeber für die Einhaltung dieser Höchstgrenzen – trotz fehlender Weisungsbefugnis gegenüber den Betriebsratsmitgliedern in Bezug auf deren Betriebsratstätigkeit – verantwortlich ist,
4. ob Betriebsratstätigkeiten bei der Mindestruhezeit von elf Stunden zwischen Arbeitsende und neuem Arbeitsantritt zu berücksichtigen ist
5. und ob daraus resultierende Arbeitsausfälle zu vergüten sind.
Nach wie vor gibt es zu den drei erstgenannten Fragen keine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG). Die Praxis erkennt allerdings die in einem früheren Blogbeitrag besprochene Entscheidung des LAG Niedersachsen als maßgeblich an.
Danach ist Betriebsratstätigkeit keine Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes und insbesondere kann der Arbeitgeber damit nicht für Verstöße gegen das ArbZG – wegen bspw. mehr als zehnstündiger Betriebsratsarbeit – verantwortlich gemacht werden.
BAG-Entscheidung vom 18. Januar 2017
Während es die Frage nach der Einordnung der Betriebsratstätigkeit als Arbeitszeit offen lässt, äußert sich das BAG in einer aktuellen Entscheidung vom 18. Januar 2017 (7 AZR 224/15) zumindest zu den letzten beiden Themenkomplexen und sorgt hier für (vorläufige?) Klarheit.
Ein Betriebsratsmitglied war in einem Dreischichtbetrieb in der Nach vom 16. auf den 17. Juli 2013 für die Nachtschicht – von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr (mit Pause von 2.30 bis 3.00 Uhr) eingeteilt. Am 17. Juli 2013 war er für eine Betriebsratssitzung für die Zeit von 13.00 bis 15.30 Uhr geladen – und nahm auch teil. Das Betriebsratsmitglied brach um 2.30 Uhr seine Arbeit ab und ging nach Hause, um dann pünktlich zur Betriebsratssitzung zu erscheinen. Es berief sich darauf, es hätte ansonsten keine elfstündige Ruhezeit mehr beachten können. Es verlangte vom Arbeitgeber, dass die ausgefallenen Arbeitsstunden seinem Stundenkonto gutgeschrieben werden.
Das BAG gab dieser Klage statt. Es verwies dabei auf § 37 Abs. 2 BetrVG, der wie folgt lautet:
„Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.“
Das BAG liest aus dieser Norm jedoch zugleich, dass dasselbe gilt, „wenn eine außerhalb der Arbeitszeit liegende erforderliche Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht hat“. Ohne die Frage „Betriebsratstätigkeit = Arbeitszeit“ beantworten zu müssen, definierte das BAG – wie schon einige Landesarbeitsgerichte zuvor – es für unzumutbar, wenn das Betriebsratsmitglied infolge der Kombination aus „normaler“ und Betriebsratsarbeit gegen wesentliche Bestimmungen des ArbZG verstieße, namentlich keine Ruhezeit mehr in hinreichendem Umfang genießen könne. Ergänzend ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Ruhezeit tarifvertraglich auf neun oder zehn Stunden herabgesetzt werden kann. Ist dies, wie in vielen Branchen üblich, für den betroffenen Betrieb erfolgt, muss dies natürlich auch für die Frage der Unzumutbarkeit bei Betriebsratsmitgliedern gelten.
Naturgemäß mag diese Entscheidung manchem Arbeitgeber „nicht schmecken“. Sie birgt die Missbrauchsgefahr in sich, dass Betriebsratsmitglieder – gerade in (dünn besetzten) Schichtbetrieben – in ihrer eigenen Schicht (bzw. ggf. auch ihren eigenen Schichten) wegen der Ruhezeiten nicht arbeiten müssen, aber gleichwohl vergütet werden und zusätzlich noch Vergütung für die reine Betriebsratstätigkeit (Sitzung) erhalten können. Um es anders auszudrücken: Das Betriebsratsmitglied ist ggf. nur einmal anwesend, erhält aber Vergütung für zwei Schichten und die Betriebsratstätigkeit.
Dem BAG ist gleichwohl, was die Unzumutbarkeit angeht, unumwunden zuzustimmen. Es kann – auch wenn Betriebsratstätigkeit keine Arbeitszeit im Sinne des ArbZG ist – nicht sein, dass Betriebsratsmitglieder zum „Durcharbeiten“ gezwungen werden können. Hier verdienen Amt und Amtsträger den Schutz des § 37 BetrVG.
Diskutieren kann und muss man aber ggf. über die Frage der Vergütung. Das Betriebsratsamt ist ein Ehrenamt, das nicht vergütet wird. Folgerichtig wird man als Grenze der Betriebsratsvergütung im Auge behalten müssen, dass dadurch keine Besserstellung gegenüber den „normalen“ Kollegen erfolgt. Eine allzu „optimierte“ Ansetzung und Dauer von Betriebsratssitzungen wird man daher im Einzelfall über die Frage der Erforderlichkeit kritisch hinterfragen müssen. Generell jedoch, auch hier muss man dem BAG Recht geben, ist die Vergütung / Gutschrift von erforderlicher Betriebsratstätigkeit zusätzlich zur Vergütung von nur wegen der Betriebsratstätigkeit ausgefallener / unzumutbarer „normaler“ Arbeitsleistung richtig.
Festzuhalten ist – auch nach dem Schweigen des BAG dazu – darüber hinaus, dass Betriebsratstätigkeit keine Arbeitszeit im Sinne des ArbZG ist und damit Betriebsratsmitglieder zum einen mehr als zehn Stunden Betriebsratstätigkeit pro Tag leisten dürfen und der Arbeitgeber dafür umgekehrt nicht (mit Ordnungsgeldern oder gar Haft) geradestehen muss.