BAG: Arbeitnehmer in Elternzeit unterfallen dem Schutz bei Massenentlassungsanzeigen

RAin Kira Falter / RAin Dr. Isabel Meyer-Michaelis, LL.M. oec., beide CMS Hasche Sigle, Köln

Das BAG hat mit einem Urteil vom 26.01.2017 (6 AZR 442/16) entschieden, dass Arbeitnehmer, die sich zum Zeitpunkt der Erstattung der Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG in Elternzeit befinden, nicht benachteiligt werden dürfen.
Zuvor hatte das BVerfG mit seinem Beschluss vom 08.06.2016 (1 BvR 3634/13) ein Urteil des BAG vom 10.03.2010 in der gleichen Sache aufgehoben und die Sache zur Entscheidung an das BAG zurückverwiesen. Auf den Beschluss des BVerfG hin hat das BAG nun erneut entschieden und der Klage einer Arbeitnehmerin, die sich zum Zeitpunkt der Erstattung einer Massenentlassungsanzeige in Elternzeit befand und die sich gegen die ihr gegenüber nach Ablauf der 30-Tagesfrist ausgesprochene Kündigung wehrte, stattgegeben.

Worüber hatte das BAG zu entscheiden?

Die Klägerin war Arbeitnehmerin einer Fluggesellschaft, die im Jahr 2009 ihre Tätigkeit in Deutschland einstellte und die Arbeitsverhältnisse der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer kündigte. Da die Schwellenwerte des § 17 KSchG zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige erreicht wurden, erstattet das beklagte Unternehmen die entsprechende Anzeige bei der Agentur für Arbeit. Zudem wurde der im Unternehmen gegründete Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 KSchG konsultiert, wobei sich die Konsultation im Nachhinein als unwirksam erwies. Aus diesem Grund waren die Kündigungen sämtlicher Arbeitnehmer, die binnen des in § 17 KSchG normierten Zeitraums von 30 Tagen ausgesprochen wurden, unwirksam.
Da sich die Klägerin zum Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige in Elternzeit befand, musste vor Ausspruch der Kündigung ihr gegenüber zunächst die Zustimmung zur Kündigung bei der zuständigen Behörde beantragt werden. Aus diesem Grund konnte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin erst nach Ablauf des in § 17 KSchG vorgesehenen 30-Tage-Zeitraumes ausgesprochen werden. Die von der Klägerin gegen die Kündigung erhobene Kündigungsschutzklage wurde durch das Arbeits- und das Landesarbeitsgericht als unbegründet abgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass die Klägerin sich nicht auf den Schutz der Massenentlassungsanzeige berufen könne, da die Kündigung ihr gegenüber nicht binnen des in § 17 KSchG normierten Zeitraums erfolgte. Auch das BAG wies die Kündigungsschutzklage mit dieser Begründung durch sein Urteil vom 10.03.2010 zunächst als unbegründet ab.
Die Klägerin legte daraufhin Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Dieses gab der Klägerin Recht und hob das Urteil des BAG vom 10.03.2010 mit der Begründung auf, dass die Klägerin in ihren Grundrechten aus Art. 3 GG in Verbindung mit Art. 6 GG verletzt werde, da das Urteil sie unzulässiger Weise aufgrund der von ihr in Anspruch genommenen Elternzeit und wegen ihres Geschlechts benachteilige.
Mit seinem Urteil vom 26.01.2017 erklärte der 6. Senat des BAG die streitgegenständliche Kündigung nunmehr für unwirksam. Dies begründet das BAG damit, dass die Entscheidung des BVerfG eine nationalrechtliche Erweiterung des Entlassungsbegriffs bei der Massenentlassungsanzeige enthalte.

Rechtlicher Hintergrund

Sofern innerhalb einer Frist von 30 Tagen bestimmte Schwellenwerte bei der Entlassung von Arbeitnehmern erreicht werden, schreibt § 17 KSchG vor, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung (oder dem Abschluss von Aufhebungsverträgen) gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit eine sog. Massenentlassungsanzeige erstatten und den Betriebsrat konsultieren muss. Nach § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG stehen „andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses“ (also in etwa ein Aufhebungs- oder Auflösungsvertrag) einer Entlassung gleich.
Das BVerfG hat nun mit seiner Entscheidung, der sich das BAG im Ergebnis angeschlossen hat, festgestellt, dass der Entlassungsbegriff des § 17 KSchG nicht nur den Kündigungsausspruch an sich, sondern auch den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung bei der zuständigen Behörde erfasst, wenn für den Ausspruch der Kündigung eine behördliche Zustimmung erforderlich ist und die Antragstellung in den in § 17 KSchG normierten 30-Tages-Zeitraum fällt.
Durch die Erweiterung des Begriffs der „Entlassung“ i.S.d. § 17 KSchG wird eine Benachteiligung von Arbeitnehmern verhindert, gegenüber denen in dem relevanten Zeitraum (noch) keine Kündigung ausgesprochen werden kann, weil zunächst die Zustimmung der zuständigen Behörde eingeholt werden muss. Am Beispiel der in Elternzeit befindlichen Klägerin hat das BAG nun entschieden, dass diese nicht aufgrund der Elternzeit benachteiligt werden dürfte. Würde die Klägerin (wie vom BAG und den Vorinstanzen zunächst angenommen) nicht dem (erweiterten) Entlassungsbegriff bei der Massenentlassungsanzeige unterfallen, wäre die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung wirksam gewesen, da es für ihre Kündigung irrelevant gewesen wäre, dass die Konsultation des Betriebsrates fehlerhaft war. Damit wäre in dem vorliegenden Fall allein die Kündigung der Klägerin wirksam gewesen, die Kündigungen sämtlicher anderer Arbeitnehmer hingegen unwirksam, weil der Kündigungsausspruch gegenüber der Klägerin nicht innerhalb der 30-tägigen Frist des § 17 KSchG erfolgte. Dieses Ergebnis wäre aber insofern absurd, als der besonders geschützte Arbeitnehmer dem Schutz des § 17 KSchG beraubt würde.
Nunmehr ist höchstrichterlich entschieden, dass der Entlassungsbegriff bei der Massenentlassungsanzeige neben dem Ausspruch der Kündigung und „anderen Beendigungen“ des Arbeitsverhältnisses auch den Antrag auf behördliche Zustimmung zur Kündigung erfasst.

Das sollten Arbeitgeber zukünftig beachten

Arbeitgeber sollten das Urteil des BAG und die vom BVerfG in seinem Beschluss aufgestellten Grundsätze zukünftig nicht nur dann beachten, wenn sie eine Massenentlassungsanzeige erstattet und von der Kündigung auch Arbeitnehmer betroffen sind, die sich in Elternzeit befinden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch in anderen Konstellationen, in denen vor Ausspruch einer Kündigung eine behördliche Zustimmung einzuholen ist, der Begriff der Entlassung i.S.v. § 17 KSchG entsprechend erweitert werden muss. Zu denken ist hier insbesondere an die Kündigung schwerbehinderter und gleichgestellter Menschen nach den §§ 85 ff. SGB IX. Auch diese Mitarbeiter dürften bei einer Massenentlassung dem Schutz des § 17 KSchG unterfallen, wenn durch die Entlassung die entsprechenden Schwellenwerte erreicht werden und der Antrag auf Zustimmung zur Kündigung innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen beim Integrationsamt eingeht.

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