Verhältnis von Nachteilsausgleich und Sozialplanabfindung – Fallstricke bei der Betriebsänderung

RA Dr. Hans-Peter Löw, Partner, Allen & Overy LLP, Frankfurt/M.

Arbeitgeber, die in ihrem Betrieb eine Betriebsänderung planen, sind verpflichtet, mit dem Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich zu führen mit dem Ziel, das Ob, Wann und Wie der Betriebsänderung einvernehmlich zu regeln. Führt der Arbeitgeber eine Betriebsänderung durch, ohne einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, haben Arbeitnehmer, die infolge der Maßnahme entlassen werden, Anspruch auf einen Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG. Sofern anschließend noch ein Sozialplan vereinbart wird, stellt sich die Frage, ob ein entlassener Arbeitnehmer zweimal kassieren kann, nämlich einmal einen Nachteilsausgleich wegen der unterlassenen Verhandlung über einen Interessenausgleich und zum anderen die Sozialplanabfindung.

Sachverhalt

In einer aktuellen Entscheidung vom 12.02.2019 (1 AZR 279/17, RS1302040) hatte das BAG über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Der beklagte Arbeitgeber hatte dem klagenden Arbeitnehmer aufgrund einer Betriebsschließung gekündigt, ohne vorher einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. In dem von dem Arbeitnehmer angestrengten Verfahren wurde der Arbeitgeber rechtskräftig zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs in Höhe von rund 16.000 € verurteilt, den die Beklagte auch an den Kläger auszahlte. Nach Ausspruch der Kündigung hatte die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Sozialplan vereinbart, wonach dem Kläger eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von 9.000 € brutto zustand. Die Beklagte lehnte die Zahlung dieser Abfindung unter Verweis auf den bereits gezahlten Nachteilsausgleich ab.

Die Entscheidung des BAG

Die hiergegen gerichtete Klage war in allen drei Instanzen erfolglos. Das BAG vertrat die Auffassung, dass der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung aus einem Sozialplan und der Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG nicht kumulativ verlangt werden könnten. Zwischen ihnen bestehe insoweit Zweckindentität, als sie beide dem Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile dienten. Abfindungszahlungen seien kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste. Vielmehr sollten sie die voraussichtlich entstehenden wirtschaftlichen Nachteile eines Arbeitsplatzverlustes infolge einer Betriebsänderung ausgleichen oder zu mindestens abmildern. Diesem Zweck diene auch der Nachteilsausgleich. Durch die Verpflichtung zur Gewährung eines Nachteilsausgleichs solle zum einen das betriebsverfassungswidrige Verhalten eines Arbeitgebers sanktioniert werden, der seiner gesetzlichen Beratungspflicht bei Betriebsänderungen nicht genügt hat. Der Anspruch wolle präventiv die vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrats an einer unternehmerischen Maßnahme sicherstellen. Da aber § 113 BetrVG ein betriebsverfassungswidriges Verhalten nur in den Fällen sanktioniert, in denen die von der unternehmerischen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erleiden, werde der Anspruch auf Nachteilsausgleich zum Ausgleich für die Nachteile aufgrund der Kündigung. Dadurch begründet sich die Zweckidentität beider Zahlungen. Diese Zweckidentität habe zur Folge, dass eine gezahlte Sozialplanabfindung auch auf einen Anspruch auf gesetzlichen Nachteilsausgleich anzurechnen sei.

Das BAG hatte schon in früheren Entscheidungen wiederholt die Auffassung vertreten, dass eine gezahlte Sozialplanabfindung auf einen Anspruch auf gesetzlichen Nachteilsausgleich anzurechnen sei. In der hier vorgestellten Entscheidung wurde erstmals die Auffassung vertreten, dass dies auch für den umgekehrten Fall der Erfüllungswirkung eines gezahlten Nachteilsausgleichs im Hinblick auf den Anspruch auf eine Sozialplanabfindung gelte.

Kein Verstoß gegen die Massenentlassungsrichtlinie

Der Kläger hatte argumentiert, dass eine Verrechnung von Nachteilsausgleich und Sozialplanabfindung gegen europäisches Recht verstoße. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber nach europäischem Recht verpflichtet, vor Durchführung einer Massenentlassung ein Konsultationsverfahren mit der Arbeitnehmervertretung durchzuführen. Dieses Verfahren muss sich mindestens darauf erstrecken, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken und ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern.

Nach allgemeinen europarechtlichen Grundsätzen ist der nationale Gesetzgeber verpflichtet, Verstöße gegen europäisches Recht mit einer wirksamen Sanktion zu versehen („effet utile“). Der Kläger war der Auffassung, dass eine Anrechnung des Nachteilsausgleichs auf die Sozialplanabfindung gegen das Gebot des effet utile verstoße. Wenn der Arbeitgeber seine Zahlung wegen des Verstoßes gegen die Konsultationspflicht mit dem Anspruch auf die Sozialplanabfindung verrechnen könne, fehle es an einer wirksamen Sanktion bei Verstoß gegen die Konsultationspflicht. Dem folgte das BAG nicht. Die wirksame Sanktion bei Verstoß gegen die Konsultationspflicht liege schon darin, dass dadurch das Verfahren nach § 17 KSchG zur Massenentlassungsanzeige fehlerhaft werde. Dies führt nach ständiger Rechtsprechung des BAG zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Unwirksamkeit der Kündigung stellt wiederum eine wirksame Sanktion auf den Verstoß gegen eine Konsultationspflicht dar.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung ist im Ergebnis zu begrüßen, da sie eine nicht gerechtfertigte Verdopplung von Ansprüchen verhindert. Die betriebliche Praxis kann aber die Risiken weiter reduzieren, indem sie im Sozialplan ausdrücklich vorsieht, dass Zahlungen aufgrund Nachteilsausgleichs nach § 113 BetrVG auf die Sozialplanabfindung angerechnet werden. Ein vergleichbarer Anrechnungsmechanismus sollte auch vorgesehen werden für Abfindungsansprüche aufgrund individualvertraglicher Vereinbarung sowie aufgrund tariflicher Rationalisierungsschutzabkommen. Solche Anrechnungsklauseln sind in der Praxis weit verbreitet. Mit einer entsprechenden Klausel wäre der hier entschiedene Rechtsstreit von vornherein überflüssig gewesen.

Mittelbar unterstreicht die Entscheidung wieder einmal eindrucksvoll die Fallstricke, die für den Arbeitgeber im Rahmen einer Betriebsänderung lauern. Formale Fehler im Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat können nicht nur finanzielle Verpflichtungen auslösen. Sie bergen auch das Risiko in sich, das Verfahren der Massenentlassung unwirksam werden zu lassen. Die Folge ist eine nach § 17 KSchG unheilbar unwirksame Kündigung. Bekanntlich hat die Rechtsprechung die Anforderungen an eine rechtlich einwandfreie Massenentlassungsanzeige in den letzten Jahren stetig hochgeschraubt. Dadurch erhöhen sich die rechtlichen Risiken und damit einhergehend die möglichen finanziellen Folgen ganz dramatisch. Das sollte in der Tat Grund genug sein, das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß zu gestalten.

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