Arbeitsschutz in der Corona-Krise – die neue SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel

RA Thomas Köllmann, Küttner Rechtsanwälte, Köln

Im April stellte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) den SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard mit allgemeinen Regelungen für den Infektionsschutz vor. Nun haben die Arbeitsschutzausschüsse beim BMAS in Koordination mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin eine überarbeitete SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel im gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlicht (GMBl 2020 S. 484-495 vom 20. August 2020). Die Arbeitsschutzregel richten sich an alle Bereiche des Wirtschaftslebens und sollen nach Angaben des BMAS „Beschäftigten, Unternehmen und Aufsicht“ mehr Sicherheit bieten. Wieso Arbeitgeber gut beraten sind, die Regeln bedarfsgerecht umzusetzen und welche Aspekte dabei zu beachten sind, wird nachfolgend erörtert.

Rechtsqualität der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel

Das Arbeitsschutzrecht wird – neben den Vorgaben der Berufsgenossenschaften (sog. „DGUV Vorschriften“) – im Wesentlichen durch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und die auf Basis dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen geregelt (z.B. Arbeitsstättenverordnung, Biostoffverordnung). Die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel ist weder ein Gesetz noch eine Rechtsverordnung und gilt daher nicht unmittelbar und zwingend. Es besteht auch keine Umsetzungspflicht aller Maßnahmen, was angesichts der branchenübergreifenden Regelungen weder zielführend noch rechtlich ohne weiteres zulässig wäre (z.B. beim Homeoffice).

Allerdings muss der Arbeitgeber anhand einer so genannten Gefährdungsbeurteilung (unter III.) ermitteln, welche Risiken bei der Ausübung der jeweiligen Tätigkeit für die Beschäftigen bestehen. Hinsichtlich des Coronavirus ist konkret zu prüfen, bei welchen Arbeitsabläufen erhöhte Infektionsrisiken existieren. Die auf Grundlage dieser Gefährdungsbeurteilung zu treffenden Maßnahmen haben den Stand der Technik und der Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen (§ 4 Nr. 3 ArbSchG). Die beim BMAS eingerichteten Arbeitsschutzausschüsse (§ 18 Abs. 2 Nr. 5 ArbSchG) erlassen sogenannte technische Regeln zum Arbeitsschutz, die die Anforderungen in diesen Bereichen konkretisieren. Die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel wurden von diesen Ausschüssen des BMAS erarbeitet und sind damit bei der Umsetzung konkreter betrieblicher Maßnahmen zu beachten.

Die Arbeitsstättenverordnung trifft zudem eine für die Praxis wichtige Vermutungsregelung: Arbeitgeber, die entsprechende Empfehlungen der Ausschüsse für Arbeitsschutz umsetzen, können davon ausgehen, dass sie die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes und der einschlägigen Verordnungen einhalten (vgl. § 3a Abs. 1. S. 3 ArbStättV). Weicht der Arbeitgeber von solchen Empfehlungen ab, muss er im Streitfall beweisen, dass er andere gleichwertige Maßnahmen umgesetzt hat (vgl. § 3a Abs. 1 S. 4 ArbStättV). Damit besteht zwar keine rechtliche Verpflichtung alle der aufgelisteten Maßnahmen einzuführen, mit Blick auf eine rechtssichere Gestaltung ist aber eine bedarfsgerechte Umsetzung zu empfehlen.

Überblick zu den wesentlichen Maßnahmen

Ausgangspunkt für alle in der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel beschriebenen Maßnahmen bildet die Erkenntnis, dass das Coronavirus durch Aerosole übertragen wird. Daher geht es zuvorderst um eine Begrenzung der Kontakte zwischen Beschäftigten und die Reduzierung von Viren in der Arbeitsumgebung. Davon ausgehend werden zahlreiche potentielle Maßnahmen benannt und ausführlich beschrieben. Ein Überblick:

  • Gestaltung der Arbeitsumgebung: Einhaltung des Mindestabstandes von 1,5 Metern; Installation transparenter Abtrennungen zwischen Arbeitsplätzen; Sicherstellung ausreichender Schutzabstände im gesamten Betrieb; spezielle Reinigungs- und Abstandsvorgaben für Sanitärräume, Kantinen und Pausenräume (Hinweis auf die zwingenden Regelungen in der Arbeitsstättenverordnung)
  • Lüftung: Konkrete Vorgaben zur Belüftung von Räumen (Hinweis auf die zwingenden Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung); Hinweis auf den Betrieb von raumlufttechnischen Anlagen mit „geeigneten Filtern“ (umfassende Hinweise dazu enthalten die DGUV Regel 109-002 „Arbeitsplatzlüftung-Lufttechnische Maßnahmen“)
  • Einführung von Homeoffice unter Beachtung des Arbeitsschutz- und Arbeitszeitgesetzes
  • Spezielle Regeln zu Dienstreisen und Besprechungen
  • Reinigungs- und Verwendungshinweise für Arbeitsmittel und Werkzeuge
  • Anpassung der Arbeitszeit- und Pausengestaltung zur Vermeidung eines engen Zusammentreffens mehrerer Beschäftigter
  • Hinweis auf die angemessene Berücksichtigung möglicher psychischer Belastungen etwa durch lang andauernde hohe Arbeitsintensität in systemrelevanten Branchen sowie spiegelbildlich Kontaktbeschränkungen und soziale Isolation im Homeoffice
  • Konkrete Anweisungen zur Mund-Nasen-Bedeckung und persönlicher Schutzkleidung
  • Umfassende Hinweise zu der arbeitsmedizinischen Prävention, gerade bei besonders schutzwürdigen Beschäftigten
  • Regelungen zur Rückkehr zur Arbeit nach einer SARS-CoV-2-Infektion oder COVID-19-Erkrankung

Ausgangspunkt für die Umsetzung von Maßnahmen: die Gefährdungsbeurteilung

Dass nicht alle der genannten Maßnahmen auf jedem Arbeitsplatz umgesetzt werden können, liegt auf der Hand. Zur Bewertung, welche Schutzmaßnahmen im Betrieb sinnvoll implementiert werden können, ist zwingend eine Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG, § 4 BioStoffV, § 3 ArbStättV) durchzuführen. In der Praxis kann dazu – vereinfacht zusammengefasst – wie folgt vorgegangen werden:

  • Feststellung der jeweiligen Arbeitsplätze als Bezugspunkt für die Beurteilung
    • Gleichartige Arbeitsplätze/Tätigkeiten können zusammengefasst werden
  • Ermitteln und Beurteilung der Gefährdungen
    • Besteht bei der konkreten Tätigkeit eine erhöhte Infektionsgefahr und woraus ergibt sich diese erhöhte Gefahr?
    • Welche Personen sind besonders gefährdet (Anlehnung an die Hinweise des Robert Koch Institutes)?
    • Wie hoch ist das potentielle Infektionsrisiko in Abhängigkeit von den Gegebenheiten des Arbeitsumfeldes (Räumlichkeit, Luftzirkulation, Anzahl Beschäftigte usw.)?
  • Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen
    • Durch welche Maßnahmen kann das Risiko reduziert werden?
    • Die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel bietet insofern wichtige Anhaltspunkte, gleiches gilt für die DGUV-Vorschriften
  • Durchführen der Maßnahmen
    • Wie lässt sich die Maßnahme durchführen?
    • Welche Einschränkungen gehen damit einher?
    • Wie lange soll und muss die Maßnahme durchgeführt werden?
    • Wer kontrolliert und dokumentiert die Durchführung der Maßnahme?
  • Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen
    • Wirkt die Maßnahme und kann das Ziel erreicht werden?
  • Dokumentation
    • Die Gefährdungsbeurteilung und die jeweiligen Maßnahmen sind zu dokumentieren (§ 6 ArbSchG)

Mitbestimmung des Betriebsrates

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Die Mitbestimmung besteht „im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften“, also nur dort, wo eine Rahmenregelung den Betriebsparteien Auslegungsspielräume belässt. Der Betriebsrat ist folglich auch bei der Gefährdungsbeurteilung zu beteiligen, da das Arbeitsschutzgesetz das Verfahren der Beurteilung nicht im Detail regelt (vgl. BAG, Beschluss vom 8. Juni 2004, 1 ABR 4/03). Gegenstand der Mitbestimmung ist die Organisation und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung (z.B. mittels Checkliste, Software). Die Ermittlung und Bewertung der Gefährdungen hingegen obliegt allein dem Arbeitgeber (vgl. BAG, Beschluss vom 28. März 2017, 1 ABR 25/15). Der Betriebsrat ist erst wieder bei der Festlegung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen einzubinden. Da die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel keine verbindliche Rechtsverordnung darstellt und zudem in zahlreichen Bereichen einen Spielraum eröffnet, ist der Betriebsrat bei der Auswahl konkreter Maßnahmen zu beteiligen. Dies gilt beispielhaft für die konkrete Gestaltung der Arbeitsplätze (Ziffer 4.2.1), die  Umsetzung des Tragens von Gesichtsmasken (Ziffer 4.2.13) oder des Belüftens von Räumen (Ziffer 4.2.3) ebenso wie für die Einführung von Homeoffice.

Folgen für die Praxis – bedarfsgerechter Schutz der Beschäftigten

Gerade in Zeiten steigender Infektionszahlen ist der Stellenwert des Arbeitsschutzes enorm. Zugleich entfalten die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften eine Doppelwirkung, weshalb der Arbeitgeber auch zivilrechtlich gegenüber den Beschäftigten zur Einhaltung verpflichtet ist (§§ 618, 241 Abs. 2 BGB). Neben den branchenspezifischen und sehr detaillierten Vorgaben der Berufsgenossenschaften, werden mit der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel weitere konkrete Maßnahmen zum Arbeitsschutz aufgezeigt. Arbeitgeber sind gut beraten, die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel zur Kenntnis zu nehmen und – in Abstimmung mit dem Betriebsrat – bedarfsgerecht umzusetzen. Setzt der Arbeitgeber alternative Maßnahmen um, muss er im Zweifel beweisen, dass ein gleichwertiges Schutzniveau gewährleistet ist. Gerade nach den zuletzt bekannt gewordenen Vorfällen in der Fleischwirtschaft besteht insgesamt ein stärkeres Bewusstsein, dass sich auch in zunehmenden Kontrollen der Arbeitsschutzbehörden niederschlagen kann. Hinzu kommen nicht unerhebliche zivilrechtliche Haftungsrisiken, sollten Beschäftigte am Arbeitsplatz mangels ausreichendem Schutzkonzept an COVID-19 erkranken.

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