Nach der grundlegenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.05.2019 (Az.: C-55/18) sind Arbeitgeber nach der EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) verpflichtet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit erfasst werden kann. Die nationale Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie wird bis dato durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gewährleistet, das allerdings keine umfassende Arbeitszeiterfassung im vorstehenden Sinn vorschreibt.
Auf die Entscheidung des EuGH hat der deutsche Gesetzgeber bislang nicht reagiert, sodass Arbeitgeber im Dunkeln tappen. Dass Abwarten für Arbeitgeber keine Option ist, zeigen bereits einzelne instanzgerichtliche Entscheidungen, die sogar eine unmittelbare Verpflichtung – ohne mitgliedsstaatliche Umsetzung – zur Einrichtung eines derartigen Zeiterfassungssystems annehmen (ArbG Emden, Urt. v. 20.02.2020 – 2 Ca 94/19).
Es stellt sich somit die berechtigte Frage, wie Arbeitgeber eine – europarechtskonforme – Arbeitszeiterfassung gewährleisten können. Eine umfassende elektronische Erfassung der täglichen Arbeitszeit dürfte mittlerweile in vielen Unternehmen State of the Art sein. Noch mehr Zuverlässigkeit wird Arbeitgebern von Hersteller von elektronischen Zeiterfassungssystemen versprochen, die zur Erfassung die biometrischen Daten der Mitarbeiter verwenden, wie beispielsweise Fingerabdrücke. Aber gerade bei der biometrischen Zeiterfassung gibt es Stolpersteine, auf die Arbeitgeber dringend achten sollten, wie eine aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zeigt (Urt. v. 04.06.2020 – 10 Sa 2130/19).
Arbeitgeber müssen daher vor der Einführung einer biometrischen Arbeitszeiterfassung dringend die erheblichen (datenschutzrechtlichen) Risiken identifizieren und diese im Rahmen ihrer Entscheidung berücksichtigen. Andernfalls drohen nicht nur arbeitsrechtliche Nachteile, sondern ggf. auch erhebliche Bußgelder nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO): bis zu 20 Millionen EUR oder im Falle eines Unternehmens von bis zu 4 % des weltweiten Jahresumsatzes des vorangegangen Geschäftsjahrs.
Was war passiert?
In dem vom LAG Berlin-Brandenburg zu entscheidenden Fall führte der Arbeitgeber ein neues elektronisches Zeiterfassungssystem ein. Dieses System identifizierte die einzelnen Mitarbeiter mittels eines biometrischen Fingerabdruckscanners, wozu es ausschließlich die sog. Minutien (Merkmale der Papillarleisten) des Fingerabdrucks speicherte. Zur Erfassung der Arbeitszeit glich das System die hinterlegten Minutien der Mitarbeiter bei jeder An- und Abmeldung mit dem vom Scanner erfassten Fingerabdruck ab. Eine Rekonstruktion des Fingerabdrucks auf Basis der gespeicherten Minutien war nicht möglich. Nach der Einführung verweigerte ein Mitarbeiter fortgesetzt die Nutzung des neuen Zeiterfassungssystems und erfasste seine Arbeitszeit weiterhin – wie in der Vergangenheit üblich – lediglich per Hand auf einem ausgedruckten Dienstplan. Der Arbeitgeber mahnte den betroffenen Mitarbeiter daraufhin wegen der unterlassenen Nutzung des Zeiterfassungssystems mehrfach ab, wogegen dieser sich mit der streitgegenständlichen Klage wehrte.
Biometrische Zeiterfassung nur in Ausnahmefällen zulässig
Das LAG Berlin-Brandenburg folgte mit seinem Urteil der bereits zu Gunsten des Mitarbeiters ergangenen erstinstanzlichen Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin und befand im vorliegenden Fall, dass die Erfassung der Arbeitszeit durch ein System mittels Fingerabdruck nicht „erforderlich“ im Sinne der DSGVO bzw. des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und damit grundsätzlich unzulässig sei.
Diesbezüglich führte das Landesarbeitsgericht aus, dass es sich bei Minutien um biometrische Daten i.S.v. Art. 4 Nr. 14 DSGVO handele, da diese, mittels eines technischen Verfahrens gewonnenen, physischen Merkmale, die eindeutige Identifizierung einer natürlichen Person ermöglichen. Nach Maßgabe von Art. 9 Abs. 1 DSGVO sei die Verarbeitung von entsprechenden biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person grundsätzlich untersagt. Eine ausnahmsweise zulässige Verarbeitung komme nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen in Betracht (vgl. Art. 9 Abs. 2 DSGVO i.V.m. § 26 Abs. 3 BDSG), beispielsweise wenn die Verarbeitung „erforderlich“ ist, um den aus dem Arbeitsrecht erwachsenden Rechten und Pflichten nachzukommen, soweit dies nach Unionsrecht, nationalem Recht oder einer Kollektivvereinbarung zulässig ist.
Das LAG Berlin-Brandenburg lehnte die „Erforderlichkeit“ einer biometrischen Arbeitszeiterfassung mittels Fingerabdruck in seinem Urteil jedoch grundsätzlich ab. Nach Ansicht des Gerichts war insbesondere das Interesse des Arbeitgebers an der Vermeidung jeglicher Manipulationen bei der Zeiterfassung nicht ausreichend, um den erheblichen Grundrechtseingriff beim Arbeitnehmer zu rechtfertigen.
Allerdings sind sowohl das Arbeitsgericht Berlin als auch das LAG Berlin-Brandenburg davon ausgegangen, dass grundsätzlich Ausnahmefälle denkbar sind, in denen eine Zeiterfassung mittels Fingerabdruckscanner rechtmäßig erfolgen kann. Angeführt werden diesbezüglich die ausdrückliche Einwilligung des Arbeitnehmers (hier stellt sich jedoch die Problematik der Freiwilligkeit der Einwilligung) oder die Einführung aufgrund einer entsprechenden Kollektivvereinbarung.
Auswirkungen auf die Praxis
Arbeitgeber sind vor dem Hintergrund der dargestellten EuGH-Rechtsprechung gut beraten, die effektive tägliche Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter mittels eines entsprechenden Systems zu dokumentieren. Hieraus folgt jedoch nach Ansicht des LAG Berlin-Brandenburg nicht die „Erforderlichkeit“ einer biometrischen Zeiterfassung, beispielweise mittels Fingerabdrucks. Vielmehr weist das Landesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen des Urteils sogar ausdrücklich auf die alternative Möglichkeit der Verwendung eines „Ausweisleser-Systems“ (Chipkarten oder Transponder) als milderes Mittel hin.
Es ist allerdings festzustellen, dass auch das LAG Berlin-Brandenburg der biometrischen Zeiterfassung nicht endgültig den Riegel vorgeschoben hat. Für die „Erforderlichkeit“ i.S.d. DSGVO sind aber über die bloße Arbeitszeiterfassung hinausgehende Sicherheitsinteressen des Arbeitgebers notwendig.
Darüber hinaus besteht für Arbeitgeber weiter die Möglichkeit, als Gestaltungsform auf eine Einwilligung der Mitarbeiter zu setzen. Dieser Weg birgt jedoch erhebliche Risiken, insbesondere da die Einwilligung für ihre Wirksamkeit „freiwillig“ erfolgen muss. Das heißt, dass der Mitarbeiter keine Nachteile zu befürchten haben darf, wenn er die Einwilligung verweigert. Diesbezüglich wird vermehrt vertreten, dass eine freiwillige Einwilligung im Arbeitsverhältnis generell nicht möglich sein soll. Mehr Sicherheit für Arbeitgeber bietet die Einführung einer biometrischen Zeiterfassung mittels Betriebsvereinbarung, insbesondere da ohnehin die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gemäß §§ 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 BetrVG zu beachten wären.