Neue Verteidigungsmöglichkeiten für Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess

RA/FAArbR Dr. Tim Wißmann, LL.M., Partner bei Küttner Rechtsanwälte, Köln (im Bild) und RA Dr. Severin Kunisch

Lange Zeit galt es als ein fast schon unverrückbares Fundament des Kündigungsschutzprozesses, dass der Arbeitgeber bei einem verlorenen Verfahren nicht umhinkommt, die Vergütung über den Kündigungstermin hinaus zu bezahlen, auch wenn der Arbeitnehmer gar nicht gearbeitet hat (sog. Annahmeverzug). Dieser Aspekt ist nicht zuletzt ein nicht unmaßgeblicher Treiber (hoher) Abfindungszahlungen. Der gute (arbeitnehmerfreundliche) Arbeitsmarkt der vergangenen Jahre hat zwar dazu geführt, dass diesem Risiko Grenzen gesetzt sind. Denn die Unbill eines verlorenen Prozesses für den Arbeitgeber ist in wirtschaftlicher Hinsicht erheblich minimiert, wenn der Arbeitnehmer einen neuen Job gefunden hat oder dies zumindest in absehbarer Zeit zu erwarten ist.

Was aber nun, wenn es den Betroffenen nicht so schnell in den Arbeitsmarkt „zurückgedrängt“, er also keine großen Aktivitäten entfaltet oder entfalten will, eine anderweitige Anstellung zu finden? Zwar sehen die gesetzlichen Regelungen zum Annahmeverzug vor, dass der Arbeitnehmer sich auch die Vergütung anrechnen lassen muss, die zu Erzielen er „böswillig unterlässt“. Diese Beschränkung des Vergütungsrisikos fristete bislang indes ein Schattendasein in Kündigungsstreitigkeiten, denn es war lange Zeit ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen, zu beweisen, der Arbeitnehmer habe das Erzielen anderweitiger Vergütung böswillig unterlassen. Wie soll man beweisen, dass der Arbeitnehmer nicht nur für einen anderweitigen Job hinreichend qualifiziert ist, sondern er auch tatsächlich eingestellt worden wäre?

Ein Urteil des BAG vom 27. Mai 2020 (5 AZR 387/19) hat nun dazu geführt, dass sich dieses Bild grundlegend wandeln kann. Doch der Reihe nach:

  • Stellt das Arbeitsgericht im Kündigungsschutzverfahren fest, dass die Kündigung unwirksam ist, muss der Arbeitgeber die ausstehende Vergütung samt etwaiger Verzugszinsen nachzahlen, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist (§ 615 S. 1 BGB).
  • Gerade bei längeren Kündigungsstreitigkeiten entsteht für Arbeitgeber so ein erhebliches und stetig wachsendes Kostenrisiko. Um dieses Risiko zu begrenzen und um zu verhindern, dass Arbeitnehmer finanzielle Vorteile auf Kosten der Arbeitgeber erhalten, sehen § 615 S. 2 BGB bzw. § 11 KSchG eine Anrechnung anderweitiger Einkünfte vor. Der Arbeitnehmer muss sich dasjenige anrechnen lassen, das er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Letztere Anrechnungsmöglichkeit hat das BAG nunmehr erheblich zugunsten der Arbeitgeber vereinfacht.

Rechtliche Einordnung

Die Kürzung des Annahmeverzugslohns um tatsächlich erzielte Zwischenverdienste bereitet dem Arbeitgeber zumeist nur geringe Schwierigkeiten. Denn hinsichtlich etwaigen Zwischenverdienstes hat der Arbeitgeber nach gefestigter Rechtsprechung einen selbstständig einklagbaren Auskunftsanspruch (BAG, Urteil vom 19. Februar 1997 – 5 AZR 379/94). Je besser also der Arbeitnehmer qualifiziert ist und je schneller er einen neuen Job annimmt, desto mehr spielt er damit dem Arbeitgeber in die Hände: Er muss sich die Vergütung, die er bei einem neuen Arbeitgeber (oder aufgrund selbstständiger Tätigkeit) erzielt, anrechnen lassen und ist umfassend zur Auskunft verpflichtet.

Taktisch und wirtschaftlich potentiell nicht minder relevant ist jedoch die Frage, ob sich der Arbeitnehmer auch das anrechnen lassen muss, was er hätte verdienen können. Wie beschrieben, sehen die gesetzlichen Regelungen dies bei einem böswilligen Unterlassen durchaus vor. Allerdings muss der Arbeitgeber beweisen, dass der Arbeitnehmer zumutbaren Zwischenverdienst böswillig unterlassen hat. Dies ist ihm naturgemäß nur schwer möglich, da er bspw. keinen Auskunftsanspruch gegen die Agentur für Arbeit hat, ob dem Arbeitnehmer Vermittlungsvorschläge gemacht wurden. Dies verbietet das Sozialgeheimnis (§ 35 SGB I). Nahezu aussichtslos wird es, wenn man von dem Arbeitgeber abverlangte zu beweisen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich eingestellt worden wäre. Diese Aussichtslosigkeit wurde bislang von der Rechtsprechung durchaus gestützt. Eine Anrechnung kam hiernach allein dann in Betracht, wenn die Untätigkeit des Arbeitnehmers ursächlich dafür war, dass der Arbeitgeber keinen tatsächlich erzielten Verdienst anrechnen konnte. Der Arbeitnehmer war aber nicht gehalten, eigene Anstrengungen zu unternehmen, um eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber zu finden. Er musste sich nicht einmal bei der Agentur für Arbeit als Arbeitssuchender melden (so noch BAG, Urteil vom 16. Mai 2000 – 9 AZR 203/99).

Auskunft über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit

Dieses Blatt hat sich nunmehr am 27. Mai 2020 nicht unmaßgeblich gewendet. Da der Arbeitnehmer unschwer Auskunft darüber gegeben könne, welche Vermittlungsvorschläge ihm von der Agentur für Arbeit gemacht wurden, steht dem Arbeitgeber nach neuer Rechtsprechung des BAG nun ein entsprechender Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer zu (BAG, Urteil vom 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19). Inhaltich muss der Arbeitnehmer Auskunft über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung erteilen.

Der Arbeitgeber als Arbeitsvermittler

Das Urteil des BAG bringt auch eine zweite sehr praxisrelevante Neuerung mit sich. Das BAG gibt seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich auf und hält den Arbeitnehmer wegen § 2 Abs. 5 SGB III zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung der Arbeitslosigkeit an. Hierbei sind auch Arbeitsvermittlungen durch den Arbeitgeber denkbar. Bereits im Jahre 2000 hatte das BAG darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über konkrete Stellenangebote informieren und ihn dadurch in „Zugzwang“ versetzen könne, Bewerbungen zu veranlassen (BAG, Urteil vom 16. Mai 2000 – 9 AZR 203/99). Wenn der Arbeitnehmer auf diese Informationen hin vorsätzlich das Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses verhindert, sind die Ansprüche aus Annahmeverzug zu kürzen. Ebenfalls wird der Arbeitnehmer nun verpflichtet, sich unverzüglich nach der Kenntnis des Beendigungszeitpunktes des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden (vgl. § 38 Abs. 1 SGB III). Dem Arbeitnehmer kann arbeitsrechtlich das zugemutet werden, was das Sozialrecht ohnehin von ihm verlangt. Zudem können sozialversicherungsrechtliche Wertungen bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Böswilligkeit“ des Unterlassens herangezogen werden.

Folgen für die Praxis

Alleine durch die Information über Vermittlungsvorschläge bzw. die Übersendung von Stellenangeboten durch den Arbeitgeber ist allerdings nicht gezeigt, dass der Arbeitnehmer böswillig anderweitige zumutbare Arbeit unterlassen hätte. Wie sich aus dem Urteil des BAG aus 2020 ergibt, spielt dem Arbeitgeber aber nun die sog. abgestufte Darlegungs- und Beweislast in die Hände:

  • Trägt der Arbeitgeber Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und ein mögliches böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs vor, obliegt es dem Arbeitnehmer, dem entgegenzutreten. Solche Indizien können sich bereits aus den vom Arbeitgeber übermittelten Vermittlungsvorschlägen bzw. aus den jeweiligen Arbeitsbedingungen der vorgeschlagenen Stellen ergeben, wenn der Arbeitnehmer sich hierauf nicht oder nicht ernsthaft beworben hat. So kann der Arbeitgeber mit der Stellenanzeige relativ leicht aufzeigen, dass die Stelle frei und die Arbeitsbedingungen zumutbar waren. Ebenso ergibt sich daraus in der Regel, ob der Arbeitnehmer die formalen Qualifikationsanforderungen erfüllt hat. Wenn der Arbeitnehmer sich auf solche Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit oder des Arbeitgebers nicht einmal bewirbt, ist er schnell mit dem Vorwurf der Böswilligkeit konfrontiert.
  • Hat sich der Arbeitnehmer beworben, muss dieser darlegen, weshalb es nicht zum Vertragsschluss gekommen ist bzw. ein solcher unzumutbar war. Eine Unzumutbarkeit ist nur im Einzelfall feststellbar und kann ihren Grund in der Person des neuen Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben (BAG, Urteil vom 22. März 2017 – 5 AZR 337/16). Auch vertragliche Umstände, insbesondere die Vergütung, die Arbeitszeit, der Anfall von Überstunden, die Gefährlichkeit der Arbeit oder der Arbeitsort, sind zu berücksichtigen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass alleine eine niedrigere Vergütung oder eine größere räumliche Entfernung – wie beim ALG auch (vgl. § 140 SGB III) – nicht zu einer Unzumutbarkeit führt. Wenn der Arbeitnehmer im Prozess vorträgt, dass er sich zwar beworben habe, aber nicht eingestellt worden sei, ist es zudem nicht ausgeschlossen, dass er auch seine Bewerbungsunterlagen vorlegen muss. Schließlich darf der Arbeitnehmer nicht mutwillig verhindern, dass er eingestellt wird.
  • Abzuwarten bleibt, welche konkreten Anforderungen die Arbeitsgerichte an die Qualität und Quantität der Bewerbungsbemühungen stellen. Da das Urteil des BAG vom 27. Mai 2020 unter anderem an sozialrechtliche Wertungen anknüpft, liegt es nahe, auch hinsichtlich sogenannter „Nichtbewerbungen“ diese heranzuziehen. Eine „Nichtbewerbung“ liegt beispielsweise vor, wenn ein Bewerbungsschreiben für den Bewerber erkennbar geeignet ist, dass ihn ein verständiger Arbeitgeber schon wegen des Inhalts oder der Form des Bewerbungsschreibens aus dem Bewerbungsverfahren ausschließt (BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 7a AL 14/05 R). Im konkreten Fall nahm das BSG eine „Nichtbewerbung“ an, da der Arbeitnehmer wörtlich ausführte: „Trotzdem ich denke, über eine gute Qualifikation zu verfügen möchte ich darauf hinweisen, dass ich im Bereich Arbeitsvorbereitung weder über eine Ausbildung noch über jedwede Berufspraxis verfüge und dies auch keine Wunsch-Tätigkeit wäre.“
  • Gelingt es dem Arbeitnehmer nicht, darzutun, dass er sich auf diese Stellen beworben hat bzw. diese für ihn unzumutbar gewesen wären, riskiert er letztlich eine Anrechnung der hypothetischen Verdienste.

Handlungsempfehlung

Hieraus lassen sich nun Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber ableiten, um während des Kündigungsschutzprozesses das Risiko der Zahlung von Annahmeverzugslohn zu minimieren. Umgekehrt ergeben sich für Arbeitnehmer Verhaltensrichtlinien im Kündigungsschutzprozess. Eine gedämpfte Aussicht auf Annahmeverzugslohn stärkt auch die Bereitschaft des Arbeitnehmers, einen Vergleich abzuschließen und dem Arbeitgeber hierbei, insbesondere bei der Höhe der Abfindungssumme, entgegenzukommen:

  • Arbeitgeber sollten spätestens nach Ablauf der Kündigungsfrist von dem Arbeitnehmer fortlaufend Auskunft über Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit verlangen.
  • Gleichzeitig sollten dem Arbeitnehmer – seinem Qualifikationsprofil entsprechend – fortlaufend freie Stellen in seiner geographischen Nähe übermittelt werden. Dies ist über die heutigen Job-Suchmaschinen relativ einfach möglich.
  • Kommt der Arbeitnehmer dem Auskunftsersuchen nicht nach, kann dieses klageweise geltend gemacht werden. Im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses ist eine (Hilfs-)Widerklage zulässig. Nach der neuen BAG-Rechtsprechung ist es ebenfalls möglich, die Auskunft im Prozess als Ausprägung der Darlegungslast zu integrieren.
  • Zur Verbesserung der Chancen des Arbeitnehmers bei der Bewerbung sollte ein qualifiziertes Zwischenzeugnis erteilt werden.

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