Spätestens seit dem in Kraft treten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Arbeitgeber das Recht zusteht, den Kandidaten/Bewerber und/oder den Arbeitnehmer nach einer Schwerbehinderung zu fragen, immer wieder intensiv diskutiert worden.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) gesteht einem Arbeitgeber in einer aktuellen Entscheidung – unter der Voraussetzung, dass bestimmte Bedingungen erfüllt werden – jedenfalls im bestehenden Arbeitsverhältnis das Recht zu, den Arbeitnehmer nach einer etwaig bestehenden Schwerbehinderung zu befragen.
Dies gelte nach Ablauf von sechs Monaten, sprich nach dem Erwerb des Sonderkündigungsschutzes für behinderte Menschen, sowie insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen. Gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) greift der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen nicht, wenn das betreffende Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate besteht.
Folgender Sachverhalt liegt der genannten Entscheidung des BAG vom 16. 2. 2012 zugrunde, von der derzeit jedoch nur eine Pressemitteilung vorliegt, nicht jedoch der Volltext:
Der Kläger, ein mit einem Grad der Behinderung von 60 schwerbehinderter Arbeitnehmer, stand seit dem 1. 11. 2007 in einem bis zum 31. 10. 2009 befristeten Arbeitsverhältnis. Während der Dauer dieses befristeten Arbeitsverhältnisses ist über das Vermögen des Arbeitgebers ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden. Am 8. 1. 2009 wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen des Arbeitgebers bestellt. Im Lauf des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbat der Beklagte in einem Fragebogen zur Vervollständigung bzw. Überprüfung der ihm vorliegenden Daten u.a. Angaben zum Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. Der klagende Arbeitnehmer verneinte seine Schwerbehinderung. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sprach der Beklagte als Insolvenzverwalter gegenüber dem klagenden Arbeitnehmer am 26. 5. 2009 eine Kündigung zum 30. 6. 2009 aus.
Daraufhin ging der Kläger im Rahmen einer arbeitsgerichtlichen Klage gegen die Kündigung vor. Erst in der Klageschrift vom 9. 6. 2009 teilte der Kläger seine Schwerbehinderung mit. Er hielt die am 26. 5. 2009 ausgesprochene Kündigung für unwirksam, weil das Integrationsamt der Kündigung nicht zugestimmt hatte.
Nachdem das erstinstanzliche Arbeitsgericht der Auffassung des klagenden Arbeitnehmers gefolgt war und der Klage stattgegeben hatte, hat das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) in 2. Instanz angenommen, der Arbeitnehmer könne sich nicht auf den Kündigungsschutz für Schwerbehinderte berufen, weil er die Frage nach der Schwerbehinderung wahrheitswidrig verneint habe.
Das BAG folgt nunmehr im Ergebnis der Auffassung des LAG Hamm. Die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung stehe im Zusammenhang mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers durch die Anforderungen des § 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG), der die Berücksichtigung der Schwerbehinderung bei der Sozialauswahl verlange, sowie durch den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX, wonach eine Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts bedürfe.
Die Frage nach der Schwerbehinderung solle es dem Arbeitgeber ermöglichen, sich rechtstreu zu verhalten. Sie stelle keine Diskriminierung behinderter Arbeitnehmer gegenüber solchen ohne Behinderung dar. Auch datenschutzrechtliche Belange stünden der Zulässigkeit der Frage nicht entgegen. Infolge der wahrheitswidrigen Beantwortung der ihm rechtsmäßig gestellten Frage nach seiner Schwerbehinderung sei es dem klagenden Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich im Kündigungsschutzprozess auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.
Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass ein Arbeitgeber dann berechtigt ist, den Arbeitnehmer nach einer Schwerbehinderung zu befragen, wenn dieser – nach Ablauf der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses – in den Genuss des Sonderkündigungsschutzes nach dem SGB IX kommt und die Frage der Vorbereitung des Ausspruchs einer Kündigung dient. Der Aspekt hingegen, unter welchen Voraussetzungen die Frage nach einer Schwerbehinderung in Bewerbungsverfahren gestellt werden darf, bleibt hiervon gänzlich unberührt.