Schadensersatz wegen rechtswidrigen Warnstreiks

Dr. Paul de Beauregard

RA/FAArbR Dr. Paul Melot de Beauregard, LL.M., Partner, McDermott Will & Emery, München

In seiner Entscheidung vom 19. 6. 2012 (1 AZR 775/10) sprach das BAG einem Unternehmen einen möglichen Schadensersatzanspruch gegen die Gewerkschaft ver.di zu, weil diese zu einem rechtswidrigen Streik gegen dieses Unternehmen aufgerufen hatte.

Dass ein rechtswidriger Streik zu einer Schadensersatzforderung des Arbeitgebers führen kann, ist eine der stärksten Waffen der Arbeitgeberseite in einem Tarifkonflikt. Meist ist es auch nicht besonders schwierig, nachzuweisen, dass ein Schaden kausal auf einem Arbeitsausstand beruht. Die rechtliche Auseinandersetzung konzentriert sich dann auf die Frage, ob der Streik rechtmäßig war oder nicht.

Dabei ist die Abgrenzung zwischen rechtmäßigem und rechtswidrigem Streik nicht mehr so einfach wie früher. Durch die Rechtsprechung der letzten Jahre sind Grauzonen entstanden, die für die Beteiligten zu großen Unsicherheiten führen. Im konkreten Fall ging es um den Wechsel eines Unternehmens von einer T- in eine OT-Mitgliedschaft. Tarifrechtlich wirkt dieser Wechsel wie ein Austritt aus dem Verband; das Unternehmen wird nicht mehr durch die Tarifverträge gebunden, welche der Verband nach dem Übertritt in die OT-Mitgliedschaft abschließt. Aufgrund dessen soll es auch rechtswidrig sein, so das BAG in seiner Entscheidung, dieses OT-Mitglied im Rahmen eines Arbeitskampfs für einen Flächentarifvertrag mit dem Verband zu bestreiken.

Was jedoch früher selbstverständlich gewesen wäre, ist nicht mehr so einfach nachvollziehbar. Denn das BAG selber hat an anderer Stelle die grundsätzliche Zulässigkeit des sogenannten Unterstützungsstreiks propagiert. Dabei handelt es sich um einen Arbeitskampf, der gegen ein Unternehmen geführt wird, was gerade nicht an einen abzuschließenden Tarifvertrag gebunden sein würde. Noch weitergehender hatte in diesem Zusammenhang das LAG Berlin-Brandenburg sogar ausdrücklich die Bestreikung auch von OT-Mitgliedern für rechtmäßig erachtet. Denn diese seien in der Lage, durch ihre verbleibende vereinsrechtliche Mitgliedschaft im Verband, auf die T-Mitglieder Druck auszuüben und insofern ein wirksames Ziel für Arbeitskampfmaßnahmen für einen Flächentarif zu sein (Urteil vom 26. 11. 2010 – 8 Sa 446/10; n.rkr.). Diese Rechtsprechung hatte auch deshalb verwirrt, weil das Bundesarbeitsgericht in der Entwicklung seiner Rechtsprechung zur OT-Mitgliedschaft stets gefordert hat, dass sich diese jeglichen Einflusses auf die T-Mitglieder ihres Verbands strikt enthalten müssen. Andernfalls würde sie riskieren, dass sie ihrerseits trotz ihrer OT-Mitgliedschaft ebenfalls an die Tarifverträge gebunden würden (Urteil vom 22.  4. 2009 – 4 AZR 111/08).

Man sieht an der Entscheidung vom 19. 6. 2012 dass wir noch lange nicht am Ende eines Definitions- und Strukturierungsprozesses stehen. Vielmehr wird einmal mehr deutlich, dass das derzeitige Arbeitskampfrecht durch große Bewegungen und damit auch Unsicherheiten geprägt ist. Es bleibt also spannend!

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