Auf den fehlerhaften Beitritt zu einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft sind die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft anzuwenden. Dies hat der BGH mit Urteilen vom 19. 11. 2013 (II ZR 320/12, DB0633293; II ZR 383/12, DB 2013 S. 2792) entschieden. Eine lange schwelende Frage ist nun mit „Nein“ beantwortet: Die Rückabwicklung einer in Vollzug gesetzten mehrgliedrigen stillen Gesellschaft kann nicht über das Schadensersatzrecht verlangt werden.
Rechtlos gestellt werden die stillen Gesellschafter dennoch nicht. Die fehlerhaft beigetretenen stillen Gesellschafter können fristlos kündigen, so dass ihnen letztlich ein Anspruch auf Auszahlung des nach den gesellschaftsvertraglichen Regelungen zu berechnenden Abfindungsguthabens zusteht. Darüber hinaus soll es dem einzelnen Anleger gestattet sein, seinen über den Abfindungsanspruch hinausgehenden Vermögensschaden geltend zu machen, solange hierdurch nicht die gleichmäßige Befriedigung etwaiger Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter gefährdet wird.
In den zugrunde liegenden Fällen hatten sich die Kläger – ebenso wie eine Vielzahl anderer Anleger – als atypisch stille Gesellschafter an einer Aktiengesellschaft beteiligt. Wegen fehlerhafter Aufklärung vor ihrem Beitritt zur Gesellschaft verlangten sie von dem Geschäftsinhaber die Rückzahlung ihrer Einlage. In den Vorinstanzen ohne Erfolg. Auf die Publikumsgesellschaft in Form einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft seien die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft anwendbar, so die Gerichte. Bei der mehrgliedrig stillen Gesellschaft liege nicht eine Vielzahl voneinander unabhängiger, bloß zweigliedriger stiller Gesellschaftsverhältnisse zwischen den jeweiligen Anlegern und der von dem Initiator des Anlageprojekts gegründeten Aktiengesellschaft vor, sondern ein einheitliches Gesellschaftsverhältnis zwischen allen Beteiligten.
Über die eingebrachte Einlage sind die beteiligten Gesellschafter zu einer Personengesellschaft verbunden. Diese Gesellschaft erwirtschaftet nun Gewinn oder Verlust. Wenn bei Verlusten in der Folge einer der Gesellschafter aussteigen will, wäre es unbillig, ihm seine Einlage zurück zu zahlen. Die Ersten, die dies verlangen, würden noch ihre Einlage erhalten, die Letzten gingen möglicherweise leer aus. Die Rechtsprechung bezeichnet dies als „Windhundrennen“. Entsprechend wird im Falle eines fehlerhaften Gesellschaftsbeitrittes auf das Auseinandersetzungsguthaben verwiesen, nicht auf die Einlage. Bei mehrgliedriger Ausgestaltung stehen also die schutzwürdigen Bestandsinteressen der Beteiligten einer Rückabwicklung entgegen.
Diesen Erwägungen folgt der BGH. Er entwickelt sie in seinen Entscheidungen aber einen Schritt weiter: Trotz der durch die In-Vollzugsetzung der fehlerhaften Gesellschaft bewirkten gesellschaftsrechtlichen Bindung sei ein Schadensersatzanspruch nicht von vornherein ausgeschlossen. Infolge des Vertragsmangels könne die Beteiligung mit sofortiger Wirkung beendet werden, so dass dem Anleger sein Abfindungsguthaben auszuzahlen sei. Zugleich erkennt der BGH an, dass in den meisten Fällen der dem Anleger entstandene Schaden hierdurch nicht kompensiert sein wird. Aus diesem Grund soll auch ein weitergehender Schaden erstattungsfähig sein, allerdings begrenzt durch das Interesse der übrigen stillen Gesellschafter an einer gleichmäßigen Befriedigung sämtlicher Abfindungs- und Auseinandersetzungsansprüche. Reicht also das Vermögen des Geschäftsinhabers nicht aus, um alle (hypothetischen) Abfindungsansprüche zu befriedigen, kann der einzelne Anleger einen das Abfindungsguthaben übersteigenden Schaden nicht durchsetzen.
Der BGH stärkt mit diesem Urteil zunächst die Rechte der stillen Gesellschafter in Publikumsgesellschaften. Sofern ihr Beitritt auf einer wegen Prospektmängeln fehlerhaften Aufklärung beruht, sind sie zu einer sofort wirksamen Beendigung berechtigt und können so zumindest ihr Abfindungsguthaben sichern. Zugleich trägt das Urteil einer gleichmäßigen und gerechten Befriedigung aller stillen Beteiligten Rechnung.
Alle Fragen beantworten die Karlsruher Richter allerdings nicht. Wie ein „Windhundrennen“ der stillen Gesellschafter bezüglich des weitergehenden Vermögensschadens ausgeschlossen werden soll, bleibt offen. Auch über schwierige Folgefragen wie etwa zur Ermittlung der Liquiditätssituation der Gesellschaft, der diesbezüglichen Beweislast oder des relevanten Stichtags werden die Instanzgerichte zu entscheiden haben.