Mit Urteil vom 18.03.2015 hat das Amtsgericht Augsburg den früheren Chef der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, Georg Schmid, zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten sowie Zahlung eines Bußgeldes von 120.000,00 € wegen Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen verurteilt. Zuvor hatte Georg Schmid bereits 450.000,00 € Nachzahlungen an die Rentenversicherung geleistet.
Das Urteil zeigt deutlich: Neben erheblichen Kosten, die die Beschäftigung vermeintlich freier Mitarbeiter („Freelancer“) mit sich bringen kann, haben Verantwortliche – und hierzu zählen in Unternehmen insbesondere Vorstände und Geschäftsführer – auch persönlich mit einer strafrechtlichen Verfolgung zu rechnen. Dabei hat das AG Augsburg darauf hingewiesen, dass Juristen – wie auch Georg Schmid – angeblich „bereits im Grundstudium“ die Abgrenzungskriterien zwischen einem sozialversicherungspflichtigen und einem freien Beschäftigungsverhältnis vermittelt bekämen, sodass von Vorsatz auszugehen sei. Dieser hatte seine Frau von 1991 bis 2013 als „freie“ Bürokraft beschäftigt und ihr ein monatliches Honorar iin Höhe von 5.500,00 € gezahlt.
Dieser aktuelle Fall soll zum Anlass genommen werden, die Risiken einer Scheinselbstständigkeit aufzuzeigen und Unternehmen eine Hilfestellung an die Hand zu geben, um ein Gespür dafür zu entwickeln, in welchen Vertragsverhältnissen Risiken lauern. Denn nach dem Urteil des AG Augsburg gilt wohl der alte Rechtsgrundsatz „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“, sodass Geschäftsführer, Vorstände und andere Verantwortliche gut beraten sind, sich mit diesem Thema intensiv auseinander zu setzen.
Scheinselbständigkeit vs. freie Mitarbeit
Für die Beurteilung, ob es sich um einen sog. freien Mitarbeiter oder um einen (scheinselbstständigen) Arbeitnehmer handelt, kommt es insbesondere darauf an, in welchem Umfang der Mitarbeiter Weisungen des „Arbeitgebers“ unterliegt und inwieweit er in dessen Betriebsorganisation eingebunden ist. Entscheidend sind immer die Gesamtumstände des Einzelfalles, die mehr oder weniger stark ins Gewicht fallen können. Aus diesem Grund ist es schwierig, sich bei der Beurteilung auf einzelne Indizien zu beschränken oder eine Art Kriterienkatalog abzuarbeiten.
Indizien für eine Scheinselbstständigkeit sind beispielsweise:
- die Verpflichtung, den Anweisungen des Auftraggebers oder Anweisungen von dessen Mitarbeitern Folge zu leisten,
- die Verpflichtung zur höchstpersönlichen Leistungserbringung, d.h. kein Recht Subunternehmer einzusetzen,
- Kein wirtschaftliches Risiko des „freien“ Mitarbeiters,
- Übernahme von weiteren, nicht mit der vertraglich geschuldeten Leistung in Zusammenhang stehender Aufgaben und/oder Zusammenarbeit mit festangestellten Mitarbeitern des Auftraggebers,
- Regelmäßige und detaillierte Berichte des freien Mitarbeiters über seine Tätigkeit,
- Nutzung der Betriebsmittel des Auftraggebers (insbesondere weil der „freie“ Mitarbeiter nicht über eigene Betriebsmittel verfügt),
- Stellung eines festen Arbeitsplatzes in den Räumlichkeiten des Auftraggebers, der auch genutzt wird.
In der Beratungspraxis zeigt sich immer wieder, dass es stets einer Prüfung der Umstände des Einzelfalls bedarf, bei der die jeweiligen Besonderheiten unterschiedlich gewertet werden können und müssen. Ein weiteres Problem liegt darin, dass – jedenfalls in größeren Unternehmen – häufig die rechtlichen und tatsächlichen Kenntnisse nicht in einer Person vereint sind. Die Rechtskenntnis sammelt sich zumeist in Abteilungen wie Legal und HR, die aber das Risiko des konkreten Einsatzes der externen Kräfte mangels Sachverhaltskenntnis nicht einschätzen können. Umgekehrt fehlt denjenigen, die unmittelbar mit den externen Kräften zu tun haben und deshalb die Einzelheiten deren Beschäftigung kennen, das juristische Wissen.
Diese Lücke zu schließen, ist unbedingte Pflicht der Unternehmensleitung. Dies kann zum einen durch die Unterstützung externer Fachleute geschehen, zum anderen aber auch durch die Implementierung von Lösungen, die es den operativen Bereichen Fachseite, d.h. denjenigen, die die Beauftragung durchführen, erlaubt, das rechtliche Risiko korrekt zu bewerten.
Risiken und Konsequenzen einer Scheinselbstständigkeit
Weithin bekannt dürfte sein, dass im Falle einer Scheinselbstständigkeit auf den Arbeitgeber erhebliche Kosten in Form von Nachzahlung Steuern sowie Sozialversicherungsbeiträgen (sowohl Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil!) nebst Säumniszuschlägen iin Höhe von 1% pro Monat zukommen. Aufgrund diverser medienwirksamer Fälle (u.a. im Deutschen Bundestag) dürfte mittlerweile auch bekannt sein, dass die strafrechtliche Dimension für die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen sowie verantwortlicher Personen im Unternehmen nicht unerheblich sein können. Diese können auf den „Privatbereich“ durchschlagen, gar mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe einhergehen und zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen führen.
Wie der vorliegende Fall zeigt, kann sich eine solche Fehleinschätzung insbesondere auch im Öffentlichen Dienst auch auf die eigenen Versorgungsbezüge auswirken. Bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe über einem Jahr entfallen die beamtenrechtlichen Versorgungsansprüche.
Darüber hinaus wird durch die Beschäftigung eines vermeintlich freien, de facto jedoch sozialversicherungspflichten Mitarbeiters, ein Arbeitsverhältnis begründet; unabhängig davon, ob dies von den Parteien gewollt ist. Dieses kann sich in nicht unerheblichem Maße auf die innerbetriebliche Situation auswirken (z.B. durch das Erreichen der Schwellenwerte nach dem Kündigungsschutzgesetz oder dem Betriebsverfassungsgesetz).
Entscheidend für die Praxis
Das Thema Scheinselbstständigkeit steht seit einiger Zeit nicht nur im Fokus der Medien, sondern auch der Verfolgungsbehörden, d.h. insbesondere der Hauptzollämter und der Staatsanwaltschaften. Diese neigen dazu, so die Erfahrung aus der täglichen Beratung, die durch das Urteil im Fall Schmid einmal mehr bestätigt wird, bei Vorliegen auch nur geringfügiger Anhaltspunkte ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und sehen die entsprechenden Tatbestände regelmäßig schneller als erfüllt an, als ein Arbeits- oder Sozialgerichte dies tun würde.
Auch wenn ein Ermittlungsverfahren im Ergebnis eingestellt werden sollte, ist ein solches nahezu ausnahmslos mit weiteren negativen Konsequenzen wie Durchsuchungen des Unternehmens, medialen Berichterstattungen oder einer persönlichen Rufschädigung für Unternehmensvertreter verbunden. Daher ist es umso wichtiger, sich nicht erst dann mit dem Thema zu befassen, wenn die Ermittlungsbehörde vor der Tür steht, sondern frühzeitig für eine u.a. nach § 130 OWiG zwingend vorgeschriebene ordnungsgemäße Organisation der betrieblichen Abläufe beim Einsatz von Fremdpersonal Sorge zu tragen. Auch wenn die Thematik unter Umständen „schon im Grundstudium der Rechtswissenschaften“ angerissen wird, setzt zutreffende juristische Bewertung und der richtige Umgang mit den Verfolgungsbehörden eine weitreichende praktische Erfahrung voraus, bei der nichts dem Zufall überlassen werden sollte.