Die juristische Aufarbeitung der Insolvenz der Drogeriekette Schlecker ist noch lange nicht abgeschlossen. Im Rahmen eines aktuellen Urteils vom 22.02.2018 (6 AZR 868/16) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Klage einer ehemaligen Filialleiterin zum Anlass genommen, sich grundsätzlich zur Frage zu äußern, wie Vergütungsansprüche von Arbeitnehmern in der Insolvenz zu behandeln sind, wenn der Insolvenzverwalter bereits die (drohende) Unzulänglichkeit der Insolvenzmasse angezeigt hat.
Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Drogeriekette wurde am 28.03.2012 eröffnet, der Geschäftsbetrieb aller Filialen daraufhin am 30.06.2012 eingestellt. Seit dem 01.07.2012 war die Klägerin deshalb von ihrer Arbeitsleistung freigestellt. Am 31.08.2012 zeigte der Insolvenzverwalter die drohende Masseunzulänglichkeit an. Er ging also davon aus, dass die Insolvenzmasse voraussichtlich nicht ausreichen würde, um neben den Kosten des Insolvenzverfahrens auch die sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen.
Vergebliche Versuche, das Arbeitsverhältnis zu kündigen
Zuvor hatten die Insolvenzschuldnerin bzw. der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin bereits dreimal gekündigt. Alle Kündigungen wurden vom Arbeitsgericht (rechtskräftig) als unwirksam erachtet. Mit Schreiben vom 16.05.2013 (also rund neun Monate nach Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit) kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis erneut mit Wirkung zum 31.08.2013. Diese Kündigung hat nach einem entsprechenden arbeitsgerichtlichen Vergleich Bestand.
Die Klägerin verlangte nunmehr vom Insolvenzverwalter ihren Lohn für die Monate Januar 2013 bis August 2013 (unter Anrechnung von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit rund 13.000 Euro brutto). Es handele sich um sogenannte Neumasseverbindlichkeiten, die in voller Höhe zu befriedigen seien.
Hintergrund: Neumasseverbindlichkeiten
Neumasseverbindlichkeiten sind Verbindlichkeiten der Insolvenzmasse, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet werden. Sie stehen in der Rangfolge, in der die Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin bei Masseunzulänglichkeit zu begleichen sind, direkt hinter den Kosten des Verfahrens (während eine einfache Insolvenzforderung überhaupt nicht bedient wird). Zudem haftet der Insolvenzverwalter gemäß § 61 InsO unter Umständen sogar persönlich dafür, dass Neumasseverbindlichkeiten erfüllt werden. Die Klägerin konnte sich also (nur dann) berechtigte Hoffnung machen, die Lohnansprüche auch tatsächlich durchsetzen zu können, wenn es sich um Neumasseverbindlichkeiten handelt.
Das BAG gab (wie bereits die Vorinstanzen) der Klägerin Recht: Gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO gelten als Neumasseverbindlichkeiten im Rang nach den Kosten des Insolvenzverfahrens auch Lohnansprüche aus einem Arbeitsverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit das Arbeitsverhältnis hätte kündigen können. Die Kündigung hätte vorliegend nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit rechtswirksam zum 31.12.2012 erklärt werden können. Eine solche Kündigung hatte der Insolvenzverwalter aber nicht ausgesprochen.
Lohnansprüche in Insolvenz weiterzuverfolgen kann sich lohnen
Er hatte stattdessen an den bereits zuvor ausgesprochenen Kündigungen festgehalten. Hiergegen sei nach Ansicht des BAG auch nichts einzuwenden. Der Insolvenzverwalter trage dann aber auch das Risiko, dass diese früheren Kündigungen – wie hier – das Arbeitsverhältnis nicht beenden und – da das Arbeitsverhältnis trotz Freistellung weiterlief – Neumasseverbindlichkeiten in Form von sogenannten Annahmeverzugslohn begründet werden. Gleiches gelte im Übrigen, wenn der Insolvenzverwalter erstmals nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit (rechtzeitig) kündigt und sich diese Kündigung später als unwirksam erweist.
Dieser – wenn auch recht spezielle Fall – zeigt einmal mehr, dass es sich auch in der Insolvenz des Arbeitgebers durchaus lohnen kann, seine Lohnansprüche weiterzuverfolgen.