Wie auch immer das mit der Corona-Krise ausgeht, eines ist sicher: rückblickend werden wir feststellen, dass es einen Schub an Digitalisierung in den Unternehmen gegeben hat. Undenkbar, dass innerhalb weniger Tage alle Auszubildende nach Hause geschickt werden und fortan über elektronische Plattformen und per Internet unterrichtet werden. Man stelle sich das zu normalen Zeiten vor. Der Auftrag, eine Digitalisierung der Lerninhalte für die Berufsausbildung zu kreieren hätte einen Arbeitskreis nach sich gezogen, den Ruf nach Budget und Steuerkreis ausgelöst und nach geschätzten zwei Jahren Arbeit, Messe- und Referenzbesuchen, nach einer beauty parade in Frage kommender Softwarelösungen, einem Grundsatzstreit zwischen IT und HR wer die Entscheidung letztendlich trifft, einer mehrmaligen Verschiebung des go live-Termines wäre wahrscheinlich das Projekt von einem anderen, noch dringlicheren Thema abgelöst worden und in der Schublade verschwunden.
Und heute? Heute entscheiden die zuständigen Ausbilder, setzen um, machen möglich und führen ein. Innerhalb 14 Tage ohne Scheu und mit Erfolg. Die eine Digital-Lernplattform wird ausprobiert, die andere getestet, einfach so und ohne dass man das als „agile Methode“ feiern und mit Powerpoint erklären würde. Machen eben. Nicht nach dem dürfen fragen. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, die Sammelvorschrift bei Einführung von IT-Systemen, die Hürde aller Hürden, der Gral der erzwingbaren Mitbestimmung ist geschleift und durch die Realität ersetzt worden. Oh, hätte da eine Gesamtbetriebsvereinbarung zwei Jahre lang verhandelt und durch den Segen der Einigungsstelle ersetzt werden müssen. Sorry, wir haben mal eben eingeführt. Machen die anderen doch auch. Freie Software ist gute Software.
Gleiches gilt für die Lernkurve mit Telefon- und Online-Konferenzen. Der Blick ins heimische Wohnzimmer über die nicht zugedeckte Kamera im Laptop bei den ersten Gehversuchen ist mittlerweile einer professionellen Ausstattung gewichen. Man wählt sich ein, rückt die Kopfhörer zurecht, man jongliert mit Mikrophonen und wirft den Moderationsball hin und her. Innerhalb weniger Tage ist home office eine Standardformel geworden und man stellt erstaunt fest, was plötzlich alles geht. Profis schaffen mittlerweile drei parallele Telefonkonferenzen. Ist mit der Stummschalttaste manchmal schwierig.
Auch der Gesetzgeber hat den Turbo eingeschaltet. Die Durchführung von Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften per Internet: undenkbar, Proteststürme von Schutzvereinigungen der Kleinanleger bis hin zum Einzelaktionär, der sich der Lust am Freigetränk beraubt sieht. Und jetzt? Möglich, durchgesetzt und realisiert.
Nur der Arbeitsminister traut sich nicht, greift zu einer „Ministererklärung“, um Video- und Telefonkonferenzen möglich zu machen, die nach der heuer hundert Jahre alten Betriebsverfassung nicht möglich sind. Aber was ist das, eine „Ministererklärung“. Klingt wie im Kartellrecht die Ministererlaubnis, ohne dass sie jedoch Rechtsgültigkeit entfaltet. Die Gerichte können nicht das „ex kathedra“ Wort des Ministers zur Grundlage von Entscheidungen machen. Die Rechtsunsicherheit bleibt. Also, lieber Bundesarbeitsminister, im Grünbuch zur Digitalisierung der Arbeitswelt sind so viele gute Ideen vorhaben. Jetzt ist die Zeit, jetzt ist der Ort, um zu handeln und auch im Arbeitsrecht den Digitalisierungsschub einzuschalten.