Air Berlin hat Piloten und Kabinenpersonal alsbald nach Insolvenzeröffnung betriebsbedingt gekündigt. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Kündigungen in mehreren Entscheidungen für unwirksam erklärt, weil die nach § 17 KSchG notwendigen Massenentlassungsanzeigen bei der falschen Agentur für Arbeit erstattet worden sind (zuletzt BAG vom 14.05.2020 – 6 AZR 235/19, PM Nr. 15/20).
Damit bestehen die Arbeitsverhältnisse der gekündigten Piloten und Flugbegleiter bis zu einer erneuten wirksamen Kündigung fort. Diese haben nach § 615 Satz 1 BGB Anspruch auf Fortzahlung ihres Entgelts samt aller Nebenleistungen. Sie müssen sich nach § 615 Satz 2 BGB nur anrechnen lassen, was sie infolge des Unterbleibens ihrer Arbeitsleistung erspart und was sie anderweitig verdient haben. Soweit sie Arbeitslosengeld bezogen haben, sind ihre Entgeltansprüche in Höhe des Arbeitslosegeldes auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen (§ 115 SGB X).
Da die Entgeltansprüche die Zeit nach Insolvenzeröffnung betreffen, sind sie nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO Masseverbindlichkeiten. Nach § 53 InsO sind sie deshalb aus der Insolvenzmasse vorweg zu berichtigen. Dies gilt nach § 401 Abs. 2 BGB auch für Entgeltansprüche, die auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen sind.
Wie einer Meldung der dpa vom 31.05.2020 zu entnehmen ist, lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung der Entgeltansprüche gleichwohl ab. Er hat beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg als dem zuständigen Insolvenzgericht angezeigt, dass die Insolvenzmasse für die Bedienung dieser Entgeltansprüche nicht ausreiche. Dese Ablehnung hält einer Nachprüfung nicht stand:
Die Rangfolge der Masseverbindlichkeiten ist in § 209 Abs. 1 InsO geregelt. An erster Stelle stehen die Kosten des Insolvenzverfahrens. Danach folgen an zweiter Stelle die Masseverbindlichkeiten, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören (sog. Neumasseverbindlichkeiten). An dritter Stelle stehen sodann die übrigen Masseverbindlichkeiten. Daraus folgt aber nur auf den ersten Blick, dass die Entgeltansprüche hinter Neumasseverbindlichkeiten zurückstehen müssten, die der Insolvenzverwalter vertraglich, etwa durch die Aufnahme von Krediten, begründet hat. Denn § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO enthält eine hier einschlägige Sondervorschrift. Nach ihr gelten Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte, als Neumasseverbindlichkeiten im Sinne des Abs. 1 Nr. 2, haben also den gleichen Rang wie vom Insolvenzverwalter vertraglich begründete Masseverbindlichkeiten. Die Entgeltansprüche für die Zeit nach den Terminen, zu denen die unwirksamen Kündigungen ausgesprochen worden sind, sind solche Verbindlichkeiten. Die Masseunzulänglichkeit hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht bereits zu Beginn des Insolvenzverfahrens mitgeteilt. Danach hat er zwar umgehend Kündigungen der Arbeitsverhältnisse ausgesprochen. Aber diese Kündigungen waren, wie das Bundesarbeitsgericht aaO ausgesprochen hat wegen der fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG in Verbindung mit § 134 BGB unwirksam.
Dass der bloße Ausspruch einer sich dann als unwirksam erweisenden Kündigung nicht ausreicht, um der Anwendung der Sondervorschrift des § 209 Absatz 2 Nr. 2 InsO zu entgehen, hat das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 22.02.2018 (6 AZR 868/16) klargestellt. Es heißt dort: „Zur Vermeidung von Neumasseverbindlichkeiten genügt es darum nicht, dass eine Kündigung zum erstmöglichen Termin nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit erklärt wird. Die Kündigung muss auch wirksam sein. Das Arbeitsverhältnis muss spätestens zu dem von § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO festgelegten Termin tatsächlich beendet sein.“
Genießen die Entgeltansprüche für die Zeit nach dem erst möglichen Kündigungstermin den gleichen Rang wie die anderen Neumasseverbindlichkeiten, müssen sie ebenso wie diese aus der Insolvenzmasse vorrangig befriedigt werden. Reicht die Insolvenzmasse für die volle Befriedigung nicht aus, muss nach § 209 Absatz 1 Satz 1 InsO die Befriedigung im Verhältnis ihrer Beträge zu den Beträgen der übrigen Neumasseverbindlichkeiten erfolgen. Praktisch wird der Insolvenzverwalter jetzt noch der Masse zufließende Mittel bis zur Erreichung der quotenmäßigen Befriedigung für die Entgeltansprüche zu verwenden haben.
Ist die quotenmäßige Befriedigung wegen der schon erfolgten Befriedigung anderer Neumasseverbindlichkeiten nicht mehr möglich, kommt eine Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 Absatz 1 InsO in Betracht. Die Beachtung des aus § 209 InsO folgenden Gebots anteilsmäßiger Befriedigung gleichrangiger Massegläubiger gehört zu den Pflichten des Insolvenzverwalters. Ob ihm auch ein Verschulden zur Last fällt, müsste geprüft werden.