Die COVID-19 Pandemie stellt deutsche Unternehmen vor eine Vielzahl von Herausforderungen. Standen dabei zunächst existenzielle Themen im Vordergrund, wie etwa die Sicherstellung von Liquidität, Beantragung von Kurzarbeit, Absicherung von Lieferketten, so müssen sich Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Unternehmen verstärkt auch Gedanken dazu machen, welche nachhaltigen Auswirkungen die COVID-19 Krise auf das Geschäftsmodell und die zugrundeliegende Unternehmensstrategie haben wird. Bereits vor COVID-19 hatte sich die Erwartungshaltung der Kapitalmärkte in Bezug auf internationale Usancen verändert und wurde geprägt durch institutionelle Investoren, Stimmrechtsberater (sog. Proxy Advisor) und aktivistische Hedgefonds. Am Kapitalmarkt langfristig überzeugen kann nur, wer den Austausch mit diesen Stakeholdern nicht vernachlässigt. Allein im Jahr 2019 waren in Deutschland 19 Kampagnen aktivistischer Investoren zu verzeichnen; prominente Beispiele sind etwa Scout24, SAP, ThyssenKrupp, Uniper, Bilfinger und Stada.
Der Einfluss von Stimmrechtsberatern
Die Corporate Governance deutscher börsennotierter Unternehmen wird heute zunehmend von professionellen Stimmrechtsberatern, etwa ISS oder Glass Lewis, geprägt, die insbesondere institutionellen Investoren zur Seite stehen. Abstimmungsergebnisse auf Hauptversammlungen sind vermehrt davon abhängig, ob der jeweilige Beschlussvorschlag den Vorgaben der Stimmrechtsberater entspricht. Zu den prominenten Beispielen der Einflussnahme gehört die 2018 verweigerte Entlastung des Vorstandsvorsitzenden bei der Deutschen Börse genauso wie die Abwahl des Aufsichtsratsvorsitzenden der Norma. Beschlussempfehlungen werden von den Stimmrechtsberatern teilweise vorab veröffentlicht und beeinflussen damit sowohl andere Aktionäre als auch die Unternehmensverwaltung, die in einigen Fällen bereits angekündigte Beschlussvorschläge daraufhin änderten. Die Tätigkeit von Stimmrechtsberatern steht daher zunehmend auch in der Kritik, die sich im Wesentlichen auf drei Aspekte konzentriert: Zunächst weichen die Empfehlungen der Stimmrechtsberater teilweise vom Deutschen Corporate Governance Kodex und den Sollvorschriften des Aktienrechts ab. Das zeigt sich regelmäßig beim Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat und der insofern vorgesehenen Cooling-Off-Periode. Des Weiteren gibt es die Sorge von Interessenskonflikten, da sich die Stimmrechtsberater vermehrt neben ihrer Kerntätigkeit auch unmittelbar als Berater für börsennotierte Unternehmen zu Fragen der Corporate Governance engagieren. Schließlich wird mangelnde Transparenz ins Feld geführt und damit einhergehend eine stärkere Reglementierung (und Beschränkung ihres Einflusses) eingefordert. Unbeschadet dieser Diskussion ist es für die Verwaltung börsennotierter Unternehmen entscheidend, den Einfluss von Stimmrechtsberatern bei Maßnahmen, die der Zustimmung der Aktionäre bedürfen, frühzeitig zu berücksichtigen.
Auswirkungen auf die Unternehmensführung
Was folgt aus alledem für das Pflichtenheft von Vorständen und Aufsichtsräten? Die COVID-19 Krise muss vor dem Hintergrund aktueller Trends zu einer kritischen Bestandsaufnahme der aktuellen Unternehmensstrategie und der zugrundeliegenden Geschäftsmodelle führen. Erforderliche Anpassungen sind zu entwickeln, Chancen, die sich aus der Krise oder einer anschließenden Konsolidierung ergeben, zu evaluieren und gegebenenfalls zu nutzen. Maßstab ist allein das Unternehmensinteresse. Aber damit ist die Arbeit nicht getan. Zusätzlich ist eine proaktive Investorenkommunikation zu gewährleisten, die die fortgeschriebene Strategie und die angepassten Geschäftsmodelle überzeugend darlegt und begründet. Die Richtlinien der Stimmrechtsberater sind frühzeitig in den Blick zu nehmen, insbesondere im Hinblick auf die Befassung der Hauptversammlung. Damit wird zugleich dem Risiko einer öffentlichen Kampagne von Aktivisten effektiv begegnet und durch eine transparente und überzeugende Kommunikation der eigene Börsenkurs gestärkt.