Die neue Corona-Variante Omikron hat Deutschland fest im Griff. Da sie infektiöser ist als ihre Vorgänger, werden massive Personalausfälle wegen Krankheit und Quarantäne von Mitarbeitenden erwartet. Unternehmen reagieren darauf mit Notfallplänen. Verkürzte Öffnungszeiten im Einzelhandel sind nicht mehr fern und Energieversorger denken offenbar über eine Kasernierung von Mitarbeitenden in kritischen Bereichen nach. Mit Ausnahme von Unternehmen, die aufgrund von Lieferengpässen ohnehin die Produktion herunterfahren müssen, wird es für die meisten Arbeitgeber darum gehen, die durch steigende Infektionszahlen verursachten Personalausfälle auszugleichen. Dies bedeutet in erster Linie, dass die arbeitsfähigen Mitarbeitenden für die Dauer der Omikron Welle mehr arbeiten oder in andere Bereichen aushelfen müssen. In einem intakten Arbeitsverhältnis werden dazu sachgerechte einvernehmliche Lösungen gefunden werden. Arbeitsrechtlich interessant ist der Konfliktfall.
Anordnung von Überstunden
Der Arbeitgeber darf Überstunden grundsätzlich nur bei einer entsprechenden Regelung in Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen anordnen. Er hat dabei die Grundsätze billigen Ermessens zu wahren und auf schutzwürdige Interessen der Mitarbeitenden, beispielweise familiäre Belange, Rücksicht zu nehmen. Das beinhaltet in der Regel auch eine angemessene Ankündigungsfrist von mehreren Tagen. Bei einem unvorhergesehenen plötzlichen Ausfall von Mitarbeitenden durch Krankheit oder Quarantäne kann die Ankündigungsfrist auf wenige Stunden verkürzt werden und in Ausnahmefällen ganz entfallen.
Die Anordnung von Überstunden bedarf auch in solchen Eilfällen der Zustimmung des Betriebsrates. Nur in absoluten Ausnahmefällen darf der Arbeitgeber zur Abwendung akuter Gefahren oder Schäden Mehrarbeit ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrates anordnen. Die Beteiligung des Betriebsrates ist dann unverzüglich nachzuholen.
Die Anordnung von Überstunden darf nicht dazu führen, dass die Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz überschritten wird und beispielsweise Mitarbeitende mehr als zehn Stunden am Tag arbeiten oder Ruhezeiten nicht mehr einhalten können. Ausnahmen sind wiederum nur in außergewöhnlichen Fällen, in denen unverhältnismäßige Schäden drohen, zulässig. Personalengpässe als solche sind kein ausreichender Grund.
Vor besonderen Herausforderungen stehen Arbeitgeber, die mit ihren Arbeitnehmern keine Pflicht zur Ableistung von Überstunden vereinbart haben. Ihnen bleibt regelmäßig nur eine einvernehmliche Lösung. Eine aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers abgeleitete Verpflichtung zur Ableistung von Überstunden kommt wiederum nur ausnahmsweise in Betracht, wenn unverhältnismäßige Schäden drohen.
Zuweisung anderer Tätigkeiten
Zur Behebung von Personalengpässen in kritischen Bereichen können Mitarbeitende aus anderen Abteilungen herangezogen werden. Dies ist unproblematisch, wenn die Arbeitsverträge ein Versetzungsrecht vorsehen und die Tätigkeiten gleichwertig sind. Eine Zuweisung höher- oder geringwertiger Tätigkeiten sollte dagegen mit Mitarbeitenden abgestimmt werden. Dabei ist üblicherweise die Bereitschaft zur Übernahme höherwertiger Tätigkeiten hoch, insbesondere wenn dies mit einer Zulage honoriert wird. Mehr Widerstände bestehen erfahrungsgemäß gegen die auch nur vorübergehende Zuweisung geringerwertiger Tätigkeiten. Ohne ausdrückliche vertragliche Regelung kann der Arbeitgeber diese selbst dann nicht zuweisen, wenn die Vergütung unverändert bleibt.
Allerdings werden angesichts der Herausforderung der Covid-19-Krise Erweiterungen des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts erwogen. Die Diskussion betrifft zwar die Verpflichtung zur Arbeit aus dem Homeoffice. Der dahinter stehende Gedanke gilt aber genauso für die Übernahme anderer Tätigkeiten. Ausgangspunkt ist die Treuepflicht des Mitarbeitenden aus dem Arbeitsverhältnis, die es gebietet, Schaden vom Arbeitgeber fernzuhalten. Arbeitgeber könnten daher zumindest mit einem guten Argument die vorübergehende Übernahme geringerwertiger Tätigkeiten zu Überbrückung eines krankheits- und quarantänebedingten Personalengpasses verlangen.
Ein Zustimmungsrecht des Betriebsrates besteht unabhängig von der Bereitschaft der Mitarbeitenden zur Übernahme anderer Tätigkeiten, wenn die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs für länger als einen Monat erfolgt oder mit einer erheblichen Änderung der Arbeitsumstände verbunden ist.
Widerruf von Urlaub
Ein vom Arbeitgeber einmal erteilter Urlaub kann grundsätzlich nicht widerrufen werden. Ausnahmen gelten wiederum nur in Notfällen, wenn die Abwesenheit bestimmter Arbeitnehmer zu gravierenden betrieblichen Nachteilen führen würde. Streitige Auseinandersetzungen darüber sind selten, da sich in einem intakten Arbeitsverhältnis bei Notfällen eine einvernehmliche Einigung mit dem Mitarbeitenden erzielen lässt. Diese stellt auch am besten sicher, dass der Mitarbeitende seine Arbeitsleistung tatsächlich erbringt und nicht vor lauter Ärger über den gestrichenen Urlaub erkrankt.
Verlängerung befristeter Arbeitsverhältnisse
Laufen befristete Arbeitsverhältnisse während eines Personalengpasses aus, ist eine zeitlich begrenzte Verlängerung unproblematisch, wenn noch eine weitere sachgrundlose Befristung möglich ist. Durch Krankheit und Quarantäne verursachte Personalengpässe sollten allerdings auch eine Sachgrundbefristung rechtfertigen, da der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend bestehen wird, bis sich der Personalbestand nach Abflauen der Welle wieder normalisieren wird. Da der weitere Verlauf der Omikron-Welle und daraus resultierende Personalengpässe nicht vorhersehbar sind, ist die erforderliche Prognose mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Die Erwartungen, die der Prognose zur notwendigen Dauer der Sachgrundbefristung zu Grunde lagen, sollten daher dokumentiert werden.
Einsatz von Leiharbeitnehmern und Versetzungen
Eine klassische Lösung zur Behebung von Personalengpässen ist der Einsatz von Leiharbeitnehmern. Dieser Weg stößt allerdings bei steigenden Infektionszahlen an Grenzen, da bei unternehmensübergreifend hohen Personalausfällen voraussichtlich nicht ausreichend qualifizierte Leiharbeitnehmer zur Verfügung stehen werden und Einarbeitungszeiten einzukalkulieren sind.
In Unternehmen mit mehreren Betrieben können vorübergehende Versetzungen von Mitarbeitenden in andere Betriebe dort bestehende Engpässe mildern. Entsprechendes gilt in Unternehmensgruppen für vorübergehende Versetzungen zu anderen Unternehmen. Da Arbeitsverträge meistens keine konzernweiten Versetzungsklauseln enthalten, ist die Versetzung zu anderen Unternehmen nur einvernehmlich möglich.
Der Betriebsrat muss dem Einsatz von Leiharbeitnehmern und Versetzungen zustimmen, bei vorübergehenden betriebsübergreifenden oder konzernweiten Versetzung auch der Betriebsrat des abgebenden Betriebes. Die Zustimmung wird ein verständiger Betriebsrat nicht verweigern. Notfalls bleibt die vorläufige Durchführung der Maßnahme.
Fazit
Der Gesetzgeber sieht zur Behebung von Personalengpässen wegen Krankheit und Quarantäne keine Erleichterungen, wie beispielsweise eine Verlängerung der täglichen Höchstarbeitszeiten, vor. Arbeitgeber müssen sich mit den klassischen Maßnahmen behelfen. In einem intakten Arbeitsverhältnis werden sich einvernehmliche Lösungen finden lassen. Gelingen diese nicht, können Arbeitgeber zumindest mit der Treuepflicht der Arbeitnehmer und einem daraus abgeleiteten erweiterten Direktionsrecht argumentieren und bei Ermessensentscheidungen das Interesse an der Aufrechterhaltung der betrieblichen Abläufe hoch gewichten.