BAG hält an seiner Rechtsprechung fest: Ein Betriebsrat, der nach Planungsabschluss einer Betriebsstillegung gegründet wird, kann nicht die Aufstellung eines Sozialplans verlangen

RA/FAArbR Dr. Christoph Kurzböck ist tätig bei Rödl & Partner in Nürnberg.
RAin/FAinArbR Cornelia Schmid leitet das Arbeitsrechtsteam bei Rödl & Partner in Nürnberg.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hält an seiner Rechtsprechung aus den Jahren 1981 (BAG vom 20.04.1982 – 1 ABR 3/80) und 1991 (BAG vom 22.10.1991 – 1 ABR 17/91) fest. In der zugrundeliegenden Entscheidung (BAG vom 08.02.2022 – 1 ABR 2/21) musste sich das BAG mit der Frage auseinandersetzen, zu welchem Zeitpunkt ein Betriebsrat bestehen muss, um die Aufstellung eines Sozialplans erzwingen zu können.

Sachverhalt

Nachdem die Arbeitgeberin ihren Arbeitnehmern mitteilte, dass der Betrieb in knapp drei Monaten stillgelegt werde und sie kurze Zeit später eine Vielzahl der Arbeitsverträge kündigte, wählte die Belegschaft nach der Mitteilung – jedoch noch vor tatsächlicher Stilllegung – einen Betriebsrat. Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, ihm stehe im Zusammenhang mit der Betriebsstilllegung ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans zu.

Die Einigungsstelle hatte sich bereits für unzuständig erklärt.

Die Entscheidung

In dem Beschluss vom 08.02.2022 greift der erste Senat die bisherigen Argumente seiner Rechtsprechung auf und führt diese unter Anwendung der bekannten juristischen Auslegungsmethoden fort. Zudem erteilt der Senat sowohl der Rechtsauffassung des LAG Köln (vgl. LAG Köln vom 05.03.2007 – 2 TaBV 10/07) als auch der Begründung der Vorinstanz (vgl. LAG Hessen vom 21.07.2020 – 4 TaBV 170/19) eine Abfuhr.

Der Wortlaut der § 111ff. BetrVG setze voraus, dass bereits bei der Planung der Betriebsänderung ein Betriebsrat bestanden haben muss. Ebenso würde eine systematische Betrachtung zu keiner anderen Beurteilung führen. Anders als ein Interessensausgleich kann ein Sozialplan zwar auch bei/nach der Durchführung der Betriebsänderung aufgestellt werden, doch unterscheide das Gesetz bei der Verhandlungsmöglichkeit während der Planung nicht zwischen Interessensausgleich und Sozialplan. Eine vorherige Verhandlungsmöglichkeit sei notwendig, um der Befriedigungs- und Ausgleichsfunktion des Sozialplans gerecht zu werden. Sinn und Zweck des Sozialplans sei es einen Ausgleich zwischen wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheiten des Unternehmens und den Auswirkungen auf die Belegschaft zu schaffen. Dies kann nur gewährleistet werden, wenn bereits während der Planung verhandelt werden kann, um Einfluss auf die Betriebsänderung des Arbeitgebers nehmen zu können.

Auch § 113 Abs. 3 BetrVG stehe einer anderen Betrachtung nicht entgegen. Zweck der Norm sei es, den Arbeitgeber zu sanktionieren, der seine gesetzlichen Beratungspflicht nicht nachgekommen ist. Die Beteiligung des Betriebsrats soll demnach präventiv sichergestellt werden. Diese und auch die oben genannte gesetzliche Intention könne nicht gewahrt werden, wenn ein Betriebsrat während der Planung der Betriebsänderung nicht bestand.

Rechtsauffassung des LAG Köln

Das LAG Köln befürchtete jedoch, dass durch diese Rechtsprechung ein Wettlauf des Arbeitgebers und der Belegschaft in Gang gesetzt werde. Die Rechtsprechung würde dazu führen, dass der Arbeitgeber möglichst erst nach Abschluss der Planung informiere, während die Belegschaft bei Kenntnisnahme während der Planung eine Betriebsratswahl möglichst schnell umsetzen wolle unter Nichtwahrung bestehender Wahlfristen.

Das BAG bezog zu dieser Auffassung recht knapp Stellung. Ein Betriebsrat solle nach dem Gesetz unabhängig von Betriebsänderungen errichtet werden, wenn die erforderliche Zahl der wahlberechtigten und wählbaren Arbeitnehmer vorhanden ist (vgl. Wortlaut § 1 Abs.1 S.1 BetrVG). Die Arbeitnehmer können und sollen daher jederzeit auch ohne Betriebsänderungen einen Betriebsrat wählen.

Begründung der Vorinstanz

Das LAG Hessen ließ die Frage offen, ob ein Mitbestimmungsrecht bestehe, da es bereits durch die Unzuständigkeitserklärung der Einigungsstelle ausgeübt worden sei.

Laut BAG verkennt das LAG Hessen jedoch, dass die Zuständigkeitserklärung keine Ausübung des Mitbestimmungsrechts ist, sondern die Zuständigkeit abhängig von dem Bestehen eines Mitbestimmungsrechts ist.

Fazit

Sowohl durch die Entscheidung des LAG Köln als auch durch das rechtspolitische Verlangen einer arbeitnehmerfreundlicheren Ausgestaltung des BetrVG, lag eine andere Rechtsauffassung des BAG nicht fern. Womöglich sah der Senat sich gerade deshalb dazu veranlasst, die gesetzgeberische Intention herauszuarbeiten, die durch die aktuelle Fassung der §§ 111ff. BetrVG kein anderes Ergebnis zulasse.

Allerdings könnte diese Rechtsprechung (in Teilen) in Zukunft obsolet sein, da ein Referentenentwurf des DGB vorliegt, der eine neue Regelung in § 113a BetrVG für den Betriebsrat in Gründung vorsieht. Danach ist das Mitbestimmungsrecht bzgl. des Interessensausgleichs ausgeschlossen, wenn der Betriebsrat nicht vorher bestand, während die Aufstellung eines Sozialplans möglich bleibt, wenn der Betriebsrat während der Betriebsänderung entsteht. In Zukunft werde – bei Inkrafttreten – des § 113a BetrVG dann die Frage zu klären sein, in welchem Gründungsstadium sich der Betriebsrat befinden muss und bis wann dieser endgültig errichtet sein muss, damit § 113a BetrVG zur Anwendung kommen kann.

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