Zum 01.01.2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz („LkSG“) in Kraft getreten, welches zunächst Unternehmen mit mindestens 3.000 Arbeitnehmern (ab 01.01.2024: 1.000) zur Beachtung umfassender Sorgfaltspflichten zur Verhinderung, Minimierung oder Beendigung bestimmter Menschenrechts- und Umweltrisiken oder -verstöße verpflichtet. Bei der Umsetzung sollen die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle („BAFA“) veröffentlichten Handreichungen zur Risikoanalyse, zum Beschwerdemechanismus, zu den Berichtspflichten und zum Prinzip der Angemessenheit helfen. Diese fixieren neben den verfügbaren FAQs die behördliche Rechtsauffassung, die ggf. im weiteren Verlauf gerichtlich überprüft werden wird. Im Folgenden werden die Handreichungen einer eingehenden Bewertung unterzogen. Sie enthalten zwar durchaus wertvolle Hinweise und Anregungen, werfen gleichzeitig aber neue Fragen auf.
Zeitplan für die Umsetzung
Die Vorgaben des LkSG gelten für die Unternehmen in seinem Anwendungsbereich ab Inkrafttreten. Für die Implementierung der Umsetzungsmaßnahmen hat das BAFA in den aktualisierten FAQs (https://fmos.link/18806 [Abruf: 09.01.2023]) einen Zeitplan vorgesehen. Mit dem Inkrafttreten des LkSG müssen Unternehmen nach Ansicht des BAFA (i) die Zuständigkeit für die Überwachung des Risikomanagements festgelegt haben (was dem gesetzlichen Leitbild folgend durch die Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten geschehen kann) und (ii) den Beschwerdemechanismus wirksam implementiert haben. Mit der Umsetzung der übrigen Sorgfaltspflichten müsse – so das BAFA – erst mit Inkrafttreten begonnen werden. Ob dieser Maßstab auch für Unternehmen gilt, die erst ab dem 01.01.2024 verpflichtet sein werden, ist offen. Das BAFA empfiehlt, diesbezüglich zunächst klare Zuständigkeiten im Unternehmen für die operative Umsetzung zu schaffen. Sollte die Umsetzung im Geschäftsjahr der erstmaligen Umsetzung (also 2023) nicht abgeschlossen sein, müssen die Gründe dafür plausibel dargelegt werden. Insgesamt ist bei der Umsetzung große Sorgfalt geboten, da die Nichteinhaltung der normierten Sorgfaltspflichten das Risiko hoher Geldbußen von bis zu 2 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes und Reputationsschäden birgt.
Prozessbeschreibung der Risikoanalyse
Zentraler Bestandteil des nach dem LkSG einzurichtenden Risikomanagements und der Umsetzung der Sorgfaltspflichten ist die regelmäßige Risikoanalyse für den eigenen Geschäftsbereich und unmittelbare Zulieferer. Dabei weist das BAFA in seiner Handreichung zur Umsetzung einer Risikoanalyse nach den Vorgaben des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (https://fmos.link/18807 [Abruf: 09.01.2023]) auf den vorzunehmenden Perspektivenwechsel hin weg von einer Betrachtung der Risiken für den Geschäftserfolg des Unternehmens, hin zu einer menschenrechtlichen und umweltrechtlichen Perspektive mit Fokus auf die Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf betroffene Stakeholder wie etwa Beschäftigte entlang der Lieferkette.
Im Ausgangspunkt überzeugend skizziert das BAFA in seiner Handreichung einen dreistufigen Prozess bestehend aus (i) Vorbereitung (Informationsbeschaffung), (ii) abstrakter Risikoanalyse nach länder- und branchen- bzw. produktspezifischen Risiken und (iii) konkreter Risikoanalyse einschließlich der Bewertung und Priorisierung der Risiken im eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zulieferern. Am Ende des Prozesses soll nach dem BAFA ein Risiko-Heatmap und ein Risikoinventar mit konkreten Maßnahmen für die einzelnen Risiken stehen. Unternehmen sollen einem risikobasierten Ansatz folgen und ermittelte Risiken angemessen gewichten und priorisieren (u.a. nach Schwere, Eintrittswahrscheinlichkeiten und Einflussmöglichkeiten).
Praktische Hinweise zum Prinzip der Angemessenheit
Das dem LkSG zugrunde liegende Prinzip der Angemessenheit gibt Unternehmen anhand von vier gesetzlichen Kriterien (§ 3 Abs. 2 LkSG: (i) Art und Umfang der Geschäftstätigkeit, (ii) Einflussvermögen, (iii) Schwere, Unumkehrbarkeit und Eintrittswahrscheinlichkeit einer Verletzung und (iv) Art des Verursachungsbeitrags) einen Ermessens- und Handlungsspielraum bezüglich des „Wie“ der Umsetzung der Sorgfaltspflichten, um auf das konkrete Risikoprofil zu reagieren. Das Angemessenheitsprinzip wirkt sich auf die Intensität und Art und Weise der erforderlichen Maßnahmen aus. Nach der Handreichung Angemessenheit (https://fmos.link/18809 [Abruf: 09.01.2023]) können Unternehmen hierbei sehr granular differenzieren (etwa nach Betriebsstätten). Das BAFA betont zudem den engen Zusammenhang zur gesetzlich geforderten Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen.
Beschwerdeverfahren als Frühwarnsystem
In seiner Handreichung zum Beschwerdeverfahren (https://fmos.link/18810 [Abruf: 09.01.2023]) betont das BAFA die zentrale Bedeutung des für sämtliche potenziell entlang der Lieferkette Betroffenen zugänglichen Beschwerdeverfahrens als Frühwarnsystem. Daher sollte das Beschwerdeverfahren zum 01.01.2023 bereits eingerichtet sein. Zwar ist nach der Handreichung ein „Aufsatteln“ auf bestehende Meldesysteme möglich. Leider äußert sich das BAFA aber nicht zu einer integrierten Umsetzung mit den Anforderungen des mittlerweile beschlossenen Hinweisgeberschutzgesetzes und verpasst so die Möglichkeit, Klarheit für Unternehmen und eine praxisorientierte Handhabung zu schaffen. Unserer Auffassung nach steht einer integrierten Umsetzung gleichwohl nichts im Wege.
Umfangreicher Berichtsfragebogen
Zur „Erleichterung“ der jährlichen Berichterstattung wurde ein ausführlicher Fragenkatalog mit 48 Fragen und 437 Antwortmöglichkeiten veröffentlicht, der als umfassendes „Kriterienprüfraster“ zu verstehen ist (https://fmos.link/18811 [Abruf: 09.01.2023]). Dieser Bericht sei die „Visitenkarte“ des Unternehmens. Der Fragenkatalog bietet Unternehmen wichtige Hilfestellung zur Umsetzung des LkSG, da die Interpretation und Anforderungen des BAFA sehr detailliert beschrieben werden. Unklar bleibt bedauerlicherweise jedoch die im Rahmen der Freitexte geforderte Darstellungstiefe.
Redaktioneller Hinweis:
Eine ausführlichere Fassung dieses Beitrags mit weiteren Informationen finden Sie in DER BETRIEB 2023 S. 125