Es wird auch im Jahr 2021 virtuelle Hauptversammlungen (VHV) geben. Gestern wurde im Kabinett eine Rechtsverordnung beschlossen, welche die Anwendung des entsprechenden COVID19-Maßnahmengesetzes bis zum 31.12.2021 verlängert. Damit haben Aktiengesellschaften, die ihre Hauptversammlung in den ersten Monaten des kommenden Jahres haben, genügend Planungssicherheit. Es wäre auch nicht vorstellbar, in ein paar Monaten mehrere tausend Aktionäre in einer Halle zu versammeln. So kommt es 2021 wieder zu einer HV „ohne physische Präsenz der Aktionäre“ (§ 1 Abs. 2 S. 1 COVID19-MaßnahmenG). Indessen ist auch deren virtuelle Präsenz nicht gewährleistet – außer beim Stimmrecht via sog. Briefwahl. Antrags- und Auskunftsrechte sind beschnitten. Das ist in der vergangenen HV-Saison auf zum Teil harsche Kritik gestoßen, da Aktionärsvereinigungen und manche Investoren kein Forum mehr fanden, um sich Gehör zu verschaffen.
Schlagwort-Archive: Hauptversammlung
Karwendelbahn und die verspätete HV-Tagesordnung
Im Streit unter Aktionären spielt oft eine Rolle, wer wann eine Hauptversammlung einberufen kann und mit welchen Gegenständen der Tagesordnung. Das hochformalisierte Verfahren ist tückisch für beide Seiten. Ein illustrer Sachverhalt liegt einem neuen BGH-Urteil zugrunde (v. 14.7.2020, II ZR 255/18). Es handelt sich um die Karwendelbahn AG, Deutschlands zweithöchste Bergbahn in Mittenwald. Der größte Aktionär mit fast der Hälfte der Stückaktien ist die Konsortium AG, der zweitgrößte Aktionär mit knapp einem Drittel ist die bayerische Gemeinde Markt Mittenwald. Beide liefern sich seit Jahren erbitterte Auseinandersetzungen, deren Hintergrund für Außenstehende schwer zu erfassen ist (s. hier). Im Juni 2016 hat die Großaktionärin Konsortium AG die Einberufung einer Hauptversammlung verlangt, der Vorstand kam diesem Verlangen nach und berief die HV auf Ende Juli ein. Die Gemeinde Mittenwald beantragte noch im Juni die Ergänzung der Tagesordnung um die Beschlussfassung über Sonderprüfungen. Dieses Verlangen behandelte der Vorstand nicht, weshalb die Gemeinde eine gerichtliche Ermächtigung erwirkte, den Gegenstand bekanntzumachen (§ 122 Abs. 3 S. 1 AktG). Dies geschah am 25.7.2016 im Bundesanzeiger. Allerdings musste am selben Tag (!) auch die Anmeldung zur HV bei der AG eingegangen sein. » weiterlesen
Virtuelle Hauptversammlungen 2020 – ein Zwischenstand
Die HV-Saison 2020 neigt sich im Juli schon dem Ende entgegen, sie ist bzw. war eine besondere. Börsennotierte Gesellschaften haben von der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit regen Gebrauch gemacht, die HV ohne physisch präsente Aktionäre abzuhalten (virtuelle HV – VHV). Die blitzartige Umstellung auf das digitale Format ist sehr bemerkenswert. Soweit ersichtlich hat die technische Durchführung kaum Probleme bereitet, insbesondere die audiovisuelle Zuschaltung der Aktionäre ist durchweg gelungen. Die Gesellschaften haben sich für eine Adaption der Vorgänge bei einer Präsenz-HV entschieden, die medialen bzw. digitalen Optionen einer virtuellen Zusammenkunft blieben meist ungenutzt. Aktionärsvereinigungen und manche Investmentfonds hätten zwar lieber die Bühne einer Präsenz-HV, was verständlich ist. Die Beteiligung dieser wichtigen Akteure lässt sich auch virtuell erreichen, wie die Vonovia SE gezeigt hat, die Stellungnahmen von DSW und SdK einspielte; die Deutsche Bank AG veröffentlichte Fragen ihrer Aktionäre auf ihrer Internetseite und bot ein begleitendes Forum an. » weiterlesen
Die ersten virtuellen Hauptversammlungen starten
Die Bayer AG hat über 400 000 Aktionäre. Wenn alle kämen, könnte sowieso eine Hauptversammlung nicht stattfinden. Doch normalerweise erscheinen nur einige Tausend. In Corona-Zeiten ist selbst mit diesem kleinen Bruchteil des Aktionariats keine Versammlung möglich. Stattdessen findet am 28. April die erste virtuelle Hauptversammlung einer DAX30-Gesellschaft statt; sie wird für die Öffentlichkeit audiovisuell übertragen. Ermöglicht wurde sie durch die COVID19-Notgesetze, die Ende März verabschiedet wurden. Zahlreiche weitere Gesellschaften folgen in den nächsten Wochen.
Bei der virtuellen Hauptversammlung ist auf jeden Fall die elektronische Fernabstimmung anzubieten, ein klarer Fortschritt. Damit können alle Aktionäre weltweit ihr Stimmrecht online ausüben. Hingegen ist die „Briefwahl“ bei der herkömmlichen Präsenz-HV nur eine Option, von welcher die Gesellschaften zögerlich Gebrauch machen. » weiterlesen
Corona und die große Hauptversammlung
Im Frühjahr 2020 stehen die Hauptversammlungen der großen DAX-Gesellschaften an. Säle voller Menschen, dichtgedrängt auf dem Parkett und am Buffet, einen ganzen Tag lang. Kann man sich das in Corona-Zeiten noch erlauben? Wenn Messen, Kultur- und Sportveranstaltungen abgesagt werden, da mag man schon fragen, ob die Aktionärstreffen ganz unbehelligt bleiben.
Eine schon einberufene HV kann bis zu ihrem Beginn vom Vorstand abgesagt werden (BGH Urteil vom 30.06.2015 – II ZR 142/14, DB 2015 S. 2504). Ein völliger Verzicht auf die Hauptversammlung (HV) ist von Rechts wegen nicht möglich, § 175 Abs. 2 S. 2 AktG bestimmt: „Die Hauptversammlung hat in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahrs stattzufinden.“ Immerhin wäre Zeit bis in den August, um die HV zu platzieren (wenn Kalender= Geschäftsjahr). Und selbst eine Überschreitung der acht Monate bleibt ohne gravierende Folgen. Die Beschlüsse einer danach einberufenen HV wären nicht deshalb anfechtbar; ein Zwangsgeldverfahren (§ 407 Abs. 1 AktG) gegen Vorstandsmitglieder dürfte es bei der gegebenen Gefährdungslage nicht geben. » weiterlesen
Corporate Governance Kodex 2019: die Hauptversammlung als Stiefkind
Der Deutsche Corporate Governance Kodex ist im Mai 2019 von der Regierungskommission in einer gänzlichen Neufassung beschlossen worden. In Kraft (Bekanntmachung im Bundesanzeiger) ist er noch nicht, da die Kommission das ARUG II abwartet, welches im Herbst dieses Jahres verabschiedet werden dürfte. Bemerkenswert an dem neuen Kodex ist, dass die Hauptversammlung der Aktionäre im beschriebenen Gefüge der Corporate Governance kaum eine Rolle spielt. Sie wird knapp mit ihrer „Funktion“ benannt und es werden Zuständigkeiten aufgezählt – und das war es auch schon. Der Grundsatz Nr. 8 fasst die §§ 118, 119 , 179 AktG zusammen (auf den § 120a AktG idF ARUG II wird gewartet). Zur Praxis der Hauptversammlung gibt es nur zwei Anregungen, die beide verwunderlich praxisfern erscheinen. » weiterlesen
BGH zur HV-Teilnahme nach Ablauf der Anmeldefrist
Der BGH hat am 9. Oktober 2018 (II ZR 78/17) ein wichtiges Urteil für die Hauptversammlungspraxis gefällt, dessen Gründe soeben veröffentlicht wurden. Es befasst sich (1) mit der Zulassung von Aktionären nach Ablauf der Anmeldefrist, (2) mit der Abweichung des Wahlvorschlags von den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (denen nach § 161 AktG zugestimmt wurde) und (3) mit den Kompetenzen des Versammlungsleiters. Das Urteil ist für die amtliche Sammlung bestimmt, was dessen Bedeutung zeigt. Hier soll nur das erstgenannte Problem erörtert werden.
Der Vorstand der börsennotierten Berliner Mologen AG lud im Jahr 2014 zur o. Hauptversammlung (HV) ein. In der Einberufung heißt es: „Anmeldung und Nachweis des Anteilsbesitzes müssen der Gesellschaft mindestens sechs Tage vor der Hauptversammlung, … zugehen.“ Mehrere Aktionäre meldeten sich erst danach zur Hauptversammlung an oder legten erst danach den Nachweis ihres Anteilsbesitzes vor. Mindestens einer dieser Aktionäre (mit größerem Aktienanteil) wurde von der Gesellschaft zur HV zugelassen. » weiterlesen
BGH zur fehlerhaften Niederschrift einer 2-Aktionäre-Hauptversammlung
Eine AG hat zwei Aktionäre, der eine mit 45 000, der andere mit 5 000 Aktien. Auf der HV wird abgestimmt: der Beschluss wird mit 90% zu 10% der Stimmen gefasst. So steht es im notariellen Protokoll. Das genügt dem BGH grundsätzlich nicht, es sollen Zahlen her. Eine neue Entscheidung vom 10.10.2017 (II ZR 375/15) macht davon eine Ausnahme, wenn sich „das zahlenmäßige Abstimmungsergebnis auch in nicht einfachen Verhältnissen so errechnen lässt, dass danach keine Zweifel über die Ablehnung oder Annahme des Antrags und die Ordnungsmäßigkeit der Beschlussfassung verbleiben“, Rn. 62. Damit werde nicht die Beurkundungspflicht eingeschränkt, sondern die Rechtsfolgen einer fehlerhaften Beurkundung beschränkt, erklärt listig der Senat.
Knallhart bleibt der Senat, wenn es um die „Art der Abstimmung“ (§ 130 II 1 AktG) geht – auch dann, wenn nur zwei Aktionäre (!) beteiligt sind. Rn. 23: „Die Art der Abstimmung ist allein mit einer offenen Abstimmung nicht näher bestimmt. Offen kann in verschiedener Weise abgestimmt werden (durch Zuruf, durch Handerheben, durch andere Gesten).“ Folgerichtig müsste Nichtigkeit sogar angenommen werden, wenn beide Aktionäre nicken, also zustimmen, aber das Nicken nicht vermerkt wird. Doch was ist gewonnen, wenn der Notar die Gesten der beiden Akteure beschreibt? Welcher Rechtssicherheit soll das dienen? Der Senat rettet die Lage, indem er großzügig dem Notar zugesteht, auch nach „Entäußerung“ das Protokoll durch eine ergänzende Niederschrift zu berichtigen. » weiterlesen
HV-Saison 2016: Hybridmodell entwickelt sich
Die Hauptversammlungssaison 2016 ist zu Ende. Die meisten börsennotierten Aktiengesellschaften haben zwischen April und Juli zum Aktionärstreffen gebeten. Die großen DAX30-Gesellschaften nutzten in weitem Umfang die gesetzlich eröffneten Möglichkeiten, die Hauptversammlung zu „digitalisieren“. Eine kluge Satzungsgestaltung erlaubt den Einsatz vielfältiger elektronische Elemente bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Präsenzversammlung im Saal. Sie ist nach wie vor gesetzliche Pflicht und herkömmlich Fixpunkt der Organisation. Die Digitalisierung der Vorgänge rund um dieses Ereignis schreitet indes kräftig voran, wie ein Blick auf die Zahlen der HV-Saison 2016 zeigt: » weiterlesen
EU-Aktivitäten im Bereich Digitalisierung und Unternehmensrecht
Die Digitalisierung im Unternehmensrecht war bislang im Wesentlichen auf zwei Felder beschränkt: Handelsregister und Hauptversammlung. Hier haben sich in den letzten zehn Jahre große Fortschritte ergeben. Die Handelsregister sind mittlerweile elektronisch geführt und abrufbar, die Hauptversammlung kann ggf. „im Wege elektronischer Kommunikation“ (§ 118 I 2 AktG) besucht werden. Jetzt wird eine neue Stufe gezündet. Die EU-Kommission greift die Digitalisierung im Unternehmensrecht insgesamt auf und bereitet für das kommende Jahr einen Rechtsakt dazu vor. Erste Schritte bestehen in Studien, die derzeit angefertigt werden bzw. wurden. Dann dürfte eine öffentliche Konsultation folgen. Das erklärte politische Ziel („Prioritäten der Kommission“) ist der digitale Binnenmarkt, der eine digitale Wirtschaft als Wachstumsmotor zur Grundlage hat.