Überstundenvergütung nun doch für Besserverdiener?!

RA/FAArbR Bernd Weller, Partner bei HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Frankfurt/M.

Im Zusammenhang mit der – nicht einvernehmlichen – Beendigung von Arbeitsverhältnissen werden nahezu automatisch Überstundenklagen erhoben. Oftmals gewinnt man dabei das Gefühl, dass die Klageerhebung nur dazu dient, den „Vergleichstopf“ größer zu machen; während der bestehenden Arbeitsverhältnisse jedenfalls werden von den Mitarbeitern nur selten Überstundenvergütungen verlangt. Dies gilt im ganz besonderen Maße für die Arbeitnehmer, die nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung als „Besserverdiener“ gelten, also solche, deren Jahresvergütung die Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung überschreitet. Nur zur Verdeutlichung: die Beitragsbemessungsgrenze Rente West liegt im Jahr 2021 bei EUR 7.100,00 brutto pro Monat, also EUR 85.200,00 pro Jahr.

Zur Erinnerung – Anwendung der AGB-Grenzen im Arbeitsrecht

Über viele Jahre und Jahrzehnte war es gängig, in Anstellungsverträgen den pauschalen Ausschluss von Vergütungsansprüchen für Überstunden und Mehrarbeit vorzusehen. Mit der Ausdehnung der Anwendung der AGB-Bestimmungen auch auf das Arbeitsrecht wurde das plötzlich zum Problem. Die gängige Vertragsklausel „mit der Grundvergütung gemäß § X Abs. Y sind sämtliche Vergütungsansprüche, einschließlich etwaiger Überstunden und Mehrarbeit, abgegolten“ wurde damit unwirksam. Zu Recht hat die Rechtsprechung (vgl. nur BAG, 01.09.2010 – 5 AZR 517/09, BB 2011, 1406) deutlich gemacht, dass solche Formulierungen dem Transparenzgebot in § 307 BGB nicht (mehr) gerecht werden. Der Arbeitnehmer kann bei Abschluss des Anstellungsvertrages nämlich beim besten Willen nicht absehen, in welchem Umfange er Arbeitsleistung erbringen müsse, um das vereinbarte Grundgehalt zu verdienen.

Die Rechtsprechung brachte dann schnell findige Arbeitnehmer und Anwälte auf die Idee, in größerem Umfange als zuvor Überstundenvergütung einzuklagen. Einen ersten Höhepunkt erreichte diese Welle mit der Vergütungsklage eines Rechtsanwaltes selbst. Dieser war in einer wirtschaftsberatenden Sozietät angestellt, hatte eine Vergütung, die 2007 deutlich oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze lag (EUR 80.000,00 brutto), arbeitete scheinbar lange Stunden in der Sozietät und wurde gleichwohl nicht zum Partner der Sozietät ernannt. Der Rechtsanwalt verließ daraufhin auf Basis einer Eigenkündigung die Sozietät und erhob eine Zahlungsklage. Er machte seine Vergütung von sämtlichen Überstunden/Mehrarbeit aus den noch nicht verjährten knapp über drei Jahren geltend. Während das LAG Berlin-Brandenburg (03.06.2010 – 15 Sa 166/10) der Klage noch stattgab, wies das BAG (17.08.2011 – 5 AZR 406/10) die Klage vollumfänglich ab.

Das BAG bestätigte zunächst die Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg, dass die pauschale Überstundenabgeltungsklausel wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot in § 307 BGB unwirksam war. Bei der Festlegung der Vergütung führte das BAG sodann jedoch aus, dass bei der Anwendung von § 612 BGB mitnichten per se und immer eine Vergütung festzulegen sei. Vielmehr gebe es Bereiche, in denen eine Vergütungserwartung gar nicht bestehe. Dieses Fehlen einer Vergütungserwartung für geleistete Arbeitsstunden bejahte das Bundesarbeitsgericht mit Nachdruck für solche Tätigkeiten, die beispielsweise bei der Erbringung von Diensten höherer Art oder aber bei einer deutlich herausgehobenen Grundvergütung BAG vom 17.08.2011 – 5 AZR 406/10). Nach Einschätzung des BAG liegt eine solche „deutlich herausgehobene Vergütung“ immer dann vor, wenn der Verdienst des Arbeitnehmers die Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung übersteigt.

LAG Düsseldorf mit neuem Ansatz

Entlang der oben genannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes galt dann als gesichert, dass Arbeitnehmer mit einem Grundverdienst oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze keine Vergütung für Überstunden und Mehrarbeit verlangen können, sofern dies nicht ausdrücklich im Anstellungsvertrag (oder einem Tarifvertrag) vorgesehen sei.

Hintergrund für die Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 23.09.2020 (14 Sa 296/20) war die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Gebietsverkaufsleiters mit seinen arbeitgebenden Autowerkstätten. Während man gerichtlich ausweislich des Sachverhaltes schnell einig wurde beim Abschluss eines Vergleiches zur betriebsbedingten Beendigung – namentlich durch Ausweitung der Kündigungsfrist um drei Monate –, musste ein Aspekt durchentschieden werden. Der Arbeitnehmer machte nämlich Vergütung für Überstunden und Mehrarbeit in Höhe von deutlich mehr als EUR 100.000,00 für die vergangenen dreieinhalb Jahre geltend. Das Arbeitsgericht Duisburg hatte die Klage des Arbeitnehmers nicht zuletzt auf Basis der Argumentation des BAG voll umfänglich abgewiesen. Das LAG Düsseldorf hingegen erkannte dem Arbeitnehmer schließlich einen Vergütungsanspruch in Höhe von knapp über EUR 26.000,00 zu (rund 23 % des eingeklagten Betrages).

Erwähnenswert aus dem Sachverhalt sind die folgenden Aspekte:

  • Ein signifikanter Teil der geltend gemachten Überstunden und Mehrarbeitszeiten betraf Fahrtzeiten, in denen der Arbeitnehmer mit dem Dienstwagen zwischen den einzelnen Filialen (und seinem Home Office) gependelt war.
  • Ein klares Arbeitszeiterfassungssystem gab es nicht; der Kläger erfasste allerdings seine Zeiten in einem elektronischen Arbeitsplanungstool der Beklagten.
  • Schließlich war der Kläger in der Zeit vom 17. September (ab dem 24. November unwiderruflich) bis zum 31. März des Folgejahres freigestellt. Die Freistellung erfolgte unter Anrechnung auf (Rest-)Urlaubs- und sonstige Freizeitausgleichsansprüche. Qua gerichtlichem Vergleich wurde die Freistellung dann bis zum 30. Juni 2020 – allerdings nur unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche – fortgesetzt.

Das LAG Düsseldorf folgt der Rechtsprechung des BAG, wonach der klagende Arbeitnehmer im konkreten Fall „entsprechend der Verkehrssitte“ keine Vergütungserwartung für die seine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden übersteigenden Überstunden und Mehrarbeitszeiten habe. Das LAG Düsseldorf führt dann jedoch aus, dass das Arbeitszeitgesetz ein Beschäftigungsverbot für die Arbeitszeiten vorsehe, die die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten nach dem Arbeitszeitgesetz übersteigen. Das LAG Düsseldorf führt sodann aus, dass dieses gesetzliche Beschäftigungsverbot (unter Hinweis auf die BAG-Rechtsprechung) aber nicht dazu führe, dass der Arbeitnehmer einen Vergütungsanspruch für die Arbeitszeiten verliere, die gegen dieses Beschäftigungsverbot verstoßen. Insofern hätten die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes – natürlich – arbeitsschutzrechtliche Ziele, regeln aber keine Vergütungsansprüche. Allerdings, so das LAG Düsseldorf, könne entsprechend der Verkehrssitte keine Erwartungshaltung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber dahingehend unterstellt werden, dass (selbst) Arbeitszeiten, die die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten übersteigen, mit der Grundvergütung abgegolten seien, sofern und soweit denn der Arbeitnehmer mit seiner Grundvergütung die Beitragsbemessungsgrenze übersteige.

Die Argumentation des LAG Düsseldorf ist durchaus nachvollziehbar, wenn es postuliert, dass ein Arbeitnehmer bei Abschluss des Anstellungsvertrages unterstellt, der Arbeitgeber werde sich gesetzestreu verhalten und von ihm schon keine Arbeitsleistung abfordern, die „ungesetzlich“ wäre. Wenn diese Unterstellung richtig ist, wird man den Vertragsschließenden auch keine Einigung darüber unterstellen können, dass etwaige über die Arbeitszeithöchstgrenzen hinausgehende Arbeitszeiten jedenfalls keine Vergütungsansprüche auslösen.

Ein Haken besteht jedoch insoweit: 612 Abs. 1 und 2 BGB stellen auf „übliche Vergütung“ und die „zu erwartende“ Vergütung ab. Beides sind anspruchsbegründende Tatsachen, die von der jeweiligen Klagepartei geltend zu machen sind. Der Vortrag besteht in den Prozessen jedoch in aller Regel in bloßen Behauptungen, nämlich, dass klägerseits behauptet wird, niemand sei bereit zur Arbeit ohne Vergütung, während beklagtenseits behauptet wird, die Grundvergütung sei schon so hoch, dass beim besten Willen niemand mehr eine Überstundenvergütung erwarten könne.

Die Gerichte entscheiden sodann „kraft eigener Wassersuppe“ ohne jegliche empirische Untersuchung oder irgendwie geartete Belege für die eigene Einschätzung des „Üblichen“. Das LAG Düsseldorf hat – um im Sprachbild zu bleiben – die Wassersuppe des BAG (Besserverdiener erwarten keine Überstundenvergütung) nun weiter verwässert um die Einschränkung „soweit die Überstunden nicht Mehrarbeitszeiten sind, die die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten übertreffen“.

Immerhin hat das LAG Düsseldorf sich nicht darauf beschränkt, Tag für Tag die (behaupteten) geleisteten Arbeitsstunden mit den Höchstarbeitszeiten des Arbeitszeitgesetzes abzugleichen; das LAG Düsseldorf hat einen sechsmonatigen Ausgleichszeitraum zugrunde gelegt und innerhalb dessen die (behaupteten) geleisteten Arbeitsstunden mit den im gesamten Ausgleichszeitraum maximal zulässigen Arbeitsstunden nach dem Arbeitszeitgesetz in Ausgleich gebracht. Daraus ergab sich die ganz erhebliche Kürzung der Klägerforderungen um rund 75%.

Bei der Bearbeitung des Ausgleichszeitraums nach § 3 ArbZG beschränkt sich das Gericht ausschließlich auf die Prüfung der Zeiträume, für die der Kläger zusätzliche Vergütung eingeklagt hat. Ob dies so zwingend ist, mag – namentlich vor dem Hintergrund der umfangreichen Freistellungsphasen zum Ende des Arbeitsverhältnisses hin – ernstlich bezweifelt werden. Warum soll der Arbeitnehmer es in der Hand haben, durch (zielgerichtete) Auswahl des Zeitraumes für seine Klage die Ausgleichszeiträume gemäß § 3 ArbZG (manipulativ?) festzulegen? Die Festlegung des Ausgleichszeitraums obliegt dem Arbeitgeber (vgl. ErfK/Wank, § 3 ArbZG, Rn. 8; Baeck/Deutsch/Winzer, § 3 ArbZG, Rn. 27 ff.).

Das LAG Düsseldorf geht demnach fehl, wenn es als Ausgleichszeitraum einfach den eingeklagten Zeitraum zugrunde legt.

Kritik

Es steht zu befürchten, dass sich infolge der Entscheidung des LAG Düsseldorf – gerade in Anbetracht des sich abzeichnenden Personalabbaus im Jahr 2021 – die Klagen um Überstundenvergütungen auch bei „Besserverdienern“ wieder mehren werden.

Es wird insofern spannend zu sehen sein, ob das „Düsseldorfer Verfahren“ in der Revision zum BAG getrieben wird und wie das BAG sich zu der Modifikation seines eigenen Verständnisses der Üblichkeit und Erwartungshaltungen der so genannten Besserverdiener stellt. Die Einschätzung des LAG Düsseldorf lässt sich hören, wenngleich der Schluss auch wahrlich nicht zwingend ist.

Bedenklich ist in dem Kontext, dass das LAG Düsseldorf – wie auch das BAG regelmäßig – marktwirtschaftliche Üblichkeiten kraft eigenen Erfahrungsschatzes zu beurteilen meint. Natürlich haben Gerichte eine breite Einsicht in viele Streitigkeiten – aber eben nur in Streitigkeiten. Der überbordende Teil der Arbeitsverhältnisse in Deutschland wird allerdings ohne Rechtsstreitigkeiten vor Arbeitsgerichten gelebt und abgewickelt.

Überdies wird spannend sein zu beobachten, wie die Darlegungs- und Beweislast durch die arbeitsschutzrechtliche Komponente vom Arbeitnehmer peu à peu auf den Arbeitgeber – der entsprechende Aufzeichnungen zu haben hat, § 16 Abs. 2 ArbZG – verlagert werden wird. Insofern ist dann aber zu beachten, dass dem Arbeitgeber die Auswahl der Ausgleichszeiträume nach § 3 ArbZG obliegt, nicht dem Arbeitnehmer.

Zu guter Letzt verbleiben an dieser Stelle nochmals ein Rat sowie eine Frage:

  • Die Vereinbarung von kurzen Ausschlussklauseln in Anstellungsverträgen minimiert das Risiko, mit vergleichbaren Zahlungsklagen zu vor Jahren geleisteten Überstunden überzogen zu werden, merklich. Insofern ist jedem Unternehmen dringend anzuraten, entsprechende Klauseln in die Anstellungsverträge einzuarbeiten und diese regelmäßig darauf hin zu überprüfen, ob sie noch den Anforderungen des BAG gerecht werden oder aber – qua Rechtsprechungsänderung oder Gesetzesänderung – mittlerweile unwirksam geworden sind.
  • Fraglich ist in diesem Zusammenhang aber, ob die Einschätzung des LAG Düsseldorf, dass die Vergütung von geleisteter Arbeit davon abhängt, ob in einem Ausgleichszeitraum von sechs Monaten die Höchstarbeitszeiten nach § 3 ArbZG überschritten werden, der Zahlungsanspruch grundsätzlich erst sechs Monate nach der geleisteten Arbeit überhaupt nur entstehen kann.

Gerade die letztgenannte Frage zeigt auf, zu welch verqueren Ergebnissen die Argumentation des LAG Düsseldorf führen kann. Das kann nicht richtig sein.

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