Verschärfung der Arbeitszeiterfassungspflichten „durch die Hintertür“?

RA Dr. Sascha Morgenroth, Partner bei Simmons & Simmons, Frankfurt/M.

Unter Arbeitsrechtlern ist umstritten, ob das geltende Arbeitszeitgesetz noch in die Zeit passt. Vielfach wird es für dringend reformbedürftig gehalten. Ungeklärt ist insbesondere, ob die allgemeine arbeitszeitgesetzliche Pflicht zur reinen Überstundenerfassung (§ 16 Abs. 2 ArbZG) noch europarechtskonform ausgelegt werden kann, oder geändert werden muss. Denn der EuGH (C-55/18) hatte bereits in 2019 entschieden, dass Arbeitszeit grundsätzlich durch ein objektives, verlässliches und transparentes System erfasst werden muss. Dem Koalitionsvertrag der Ampelkoalition lässt sich jedoch außer einer Absichtserklärung flexible Arbeitsmodelle weiterhin zu ermöglichen, eine grundlegende Reform des Arbeitszeitgesetzes nicht ausdrücklich entnehmen. Der sich aus der EuGH-Rechtsprechung ergebende Anpassungsbedarf solle zunächst im Dialog mit den Sozialpartnern geprüft werden. » weiterlesen

Daten schützen, Beschäftigten nützen – Betriebsratsvorsitzende als Datenschutzbeauftragte

RA/FRAArbR Alexander von Chrzanowski, LL.M., Rödl & Partner, Jena

Kann ein Betriebsratsvorsitzender zugleich die Aufgaben eines betrieblichen Datenschutz­beauftragten wahrnehmen? Diese Frage hat im Geltungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) das Bundesarbeitsgericht (BAG, Beschluss vom 27.4.2021, Az. 9 AZR 383/19 (A)) nunmehr dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Dabei geht es um einen möglichen, nicht zulässigen Interessenkonflikt in der Person des Datenschutzbeauftragten. Schließlich soll der Betriebsrat die Interessen der Arbeitnehmer wahren und durchsetzen, was in Einzelfällen den Aufgaben eines Datenschutzbeauftragten entgegenstehen könnte. » weiterlesen

Die tägliche Arbeitszeit ist zu erfassen – und zwar schon jetzt!

RA/FAArbR Thomas Niklas, Partner bei Küttner Rechtsanwälte PartGmbB

Am 14.05.2019 hat der EuGH eine seiner wohl populärsten Entscheidungen der letzten Jahre getroffen. Danach müssen die EU-Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Die weitaus überwiegende Mehrheit in der juristischen Literatur vertritt seither die Auffassung, dass es sich hierbei allein um eine Handlungsverpflichtung für die EU-Mitgliedstaaten handele. Und die könne mit einer “Umsetzungsfrist” nun einmal dauern, sodass vielerorts auf ein Tätigwerden des deutschen Gesetzgebers gewartet wird. » weiterlesen

„Ich wusste nicht, dass mein Urlaub verfällt.“ – BAG übernimmt Rechtsprechung des EuGH

RA Dr. Hans-Hermann Aldenhoff, Partner bei Simmons & Simmons, Düsseldorf/Frankfurt/München

Mit seinem Urteil vom 19.02.2019 (9 AZR 541/15) hat das BAG die Entscheidungen des EuGH zum Urlaub (hier Rs. C‑684/16 und C‑619/16) nationale Rechtsprechung werden lassen. Gegenstand ist der Verfall von Urlaubsansprüchen infolge einer Nichtinanspruchnahme durch den Arbeitnehmer. Konkret geht es um das Verhältnis von Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie und § 7 Bundesurlaubsgesetz, in dem es – verkürzt – heißt, dass Urlaub im relevanten Kalenderjahr genommen, nur in Ausnahmefällen übertragen werden kann und bis spätestens Ende März des Folgejahres zu nehmen ist. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass nicht genommener Urlaub am 1. April des Folgejahres ersatzlos verfiel. Relevant war insoweit, dass es letztlich dem Arbeitnehmer oblag, seinen Urlaub rechtzeitig geltend zu machen und anzutreten. » weiterlesen

EuGH stellt deutsches Urlaubsrecht auf den Kopf

RA Markulf Behrendt, Partner im Hamburger Büro der Allen & Overy LLP

Der EuGH hat am 06.11.2018 in zwei Entscheidungen zum deutschen Urlaubsrecht näher konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen Arbeitnehmer nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Abgeltung von nicht genommenen Urlaubstagen verlangen können. Entgegen der bis hierin geltenden nationalen Rechtsprechung bestimmt der EuGH nun, dass es grundsätzlich nicht erforderlich sei, dass ein Arbeitnehmer seinen Urlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch tatsächlich beantragt hat, um einen Urlaubsabgeltungsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen zu lassen. Vielmehr bestünde dieser in jedem Fall, wenn zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht der gesamte Urlaub genommen wurde. Der Arbeitgeber könne dieses Folge nur dann verhindern, wenn er seine Arbeitnehmer in die Lage versetze, den Urlaubsanspruchs auch tatsächlich wahrzunehmen und damit nachweist, dass die Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage auf den Urlaub verzichtet haben. » weiterlesen

Besondere Rechte kirchlicher Arbeitgeber bröckeln

RA Tobias Törnig, Kanzlei FPS, Düsseldorf

Die neue Liebe eines Chefarztes beschäftigt mittlerweile seit fast zehn Jahren drei deutsche Arbeitsgerichte, das Bundesverfassungsgericht und nunmehr auch die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes. » weiterlesen

Wird bezahlter Urlaub verhindert, kann er unbegrenzt übertragen und angesammelt werden

RAin Franziska Merkl, Rödl & Partner, Hof

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 29.11.2017 – Rs. C-214/16) verfallen Ansprüche auf bezahlten Urlaub dann nicht, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub aus Gründen, die in der Verantwortung des Arbeitgebers liegen, nicht nehmen konnte. Eine Begrenzung des Übertragungszeitraums sei nicht erforderlich. » weiterlesen

Konfession soll kein grundsätzliches Ausschlusskriterium bei Jobsuche mehr sein

RA/FAArbR Manuel Klingenberg, Rödl & Partner, Eschborn

Dürfen Kirchen bei Stellenbesetzungen Bewerber ohne Religionszugehörigkeit benachteiligen? Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich derzeit der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer Vorlageentscheidung durch das Bundesarbeitsgericht. Es geht um die Schadensersatzklage einer Stellenbewerberin für eine Position bei einer Diakonie. Der Klägerin war trotz Qualifikation abgelehnt worden und beklagt eine Diskriminierung, da sie konfessionslos ist. Die beklagte Diakonie beruft sich derweil auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche. Noch muss der EuGH final entscheiden – aber klar ist bereits jetzt, dass die Entscheidung weitreichende Bedeutung für alle kirchlichen und kirchennahen Arbeitgeber haben wird. Unter kirchennahe Arbeitgeber fallen zum Beispiel kirchliche Orden ebenso wie karitative Unternehmen und kirchliche Bildungseinrichtungen (etwa Caritas, Diakonie). » weiterlesen

Viel Lärm um nichts? Zwölf Tage Arbeit am Stück sind laut EuGH-Urteil rechtens

RAin/FAinArbR Amelie Bernardi, Kanzlei FPS, Frankfurt/M.

Länger als fünf oder sechs Tage in der Woche arbeiten, ohne zwischendurch einen Tag frei zu haben – ist das überhaupt zulässig? Viele Arbeitnehmer gehen davon aus, dass ihnen innerhalb einer Woche mindestens ein Ruhetag gewährt werden müsse. Dass dies aber gar nicht so ist, bestätigte nun auch der Europäische Gerichtshof in einer Entscheidung vom 09.11.2017 (EuGH – Rs. C 306/16). Er hat klargestellt, dass es rechtens ist, einen Arbeitnehmer bis zu zwölf Tage hintereinander arbeiten zu lassen – wenn er zum Beispiel den ersten Ruhetag zu Beginn der Arbeitswoche nimmt und der nächste Ruhetag erst am Ende der darauffolgenden Arbeitswoche liegt. » weiterlesen

Generalanwalt: Deutsche Unternehmensmitbestimmung vereinbar mit Unionsrecht

RA/FAArbR Dr. André Zimmermann LL.M., Partner, Orrick, Herrington & Sutcliffe LLP, Düsseldorf/München

In seinen mit Spannung erwarteten Schlussanträgen in der Sache Erzberger vom 4. Mai 2017 (Rs. C-566/15) hält der Generalanwalt die deutsche Unternehmensmitbestimmung für vereinbar mit Unionsrecht (vgl. zum Vorlageverfahren den Blogbeitrag des Autors). Auch wenn der EuGH oft den Schlussanträgen des Generalanwalts folgt, ist er nicht an sie gebunden und kann abweichend entscheiden. Dennoch spricht einiges dafür, dass der EuGH dem in seinem Urteil folgen wird, das für Juli 2017 erwartet wird. » weiterlesen