Die Unternehmen der Finanzindustrie, die durch das IVV reguliert werden, sind nicht gleichermaßen von der Corona-Krise betroffen. Wer trotz Krise Boni ausschütten kann und will, dem gibt die BaFin den „Modifier“ zur Hand.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Wirtschaft und Arbeitswelt sind erheblich. Die Weltbank geht davon aus, dass die Weltwirtschaft um 5,2 Prozent schrumpfen werde, die Europäische Zentralbank rechnet mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im gemeinsamen Währungsraum um 8,7 Prozent. Die Anzahl der Kurzarbeiteranträge ist in astronomische Höhen geschnellt, Betriebe müssen geschlossen werden und zum jetzigen Zeitpunkt dürfte völlig unklar sein, wie viele Arbeitsplätze tatsächlich durch das Instrument der Kurzarbeit gerettet werden könnten.
Auch viele Unternehmern der Finanzindustrie, deren Vergütung durch die Institutsvergütungsverordnung (IVV) reguliert werden, müssen den Gürtel deutlich enger schnallen. Allerdings gilt dies längst nicht für alle Institute. Der Institutsbegriff der IVV ist weit, umfasst neben klassischen Kreditinstituten eine Vielzahl unterschiedlicher Finanzdienstleistungsunternehmen und verbirgt zahlreiche unterschiedliche Geschäftsmodellen hinter sich, die nicht aller gleichermaßen unter der Krise leiden.
So stellt sich für manche Institute die Frage, ob sie ihren Mitarbeitern trotz Corona-bedingter, nicht erreichter Ziele (etwa bezogen auf die Eigenkapitalrendite oder des EBITDA) dennoch überobligatorische Boni zahlen möchten. Der Mitarbeiterbindung und dem Employer Branding dürfte dies jedenfalls erheblich zu Gute kommen.
Auslegungshilfe ermöglicht Flexibilität
Auf den ersten Blick scheint ein solcher Weg nicht möglich. Denn regulatorischen Regelungen zielen grundsätzlich darauf ab, variable Vergütung vorhersehbar und berechenbar zu machen und die diskretionäre Komponente bei der Festsetzung und Verteilung variabler Vergütungsbestandteile so weit wie möglich auszuschließen. Allerdings hatten die Aufsichtsbehörden in ihrer Prüfungspraxis bereits vor einiger Zeit festgestellt, dass ein gewisses Maß an Flexibilität in besonderen Situationen durchaus berechtigt und regulatorisch vertretbar sein kann. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erstmals in ihrer Auslegungshilfe zur Institutsvergütungsverordnung vom 4. August 2017 (nachfolgend: Auslegungshilfe) als Gestaltungsmittel den sog. Modifier für zulässig erachtet.
Aber worum handelt es sich bei einem Modifier eigentlich? Und wie ist dieser auszugestalten, damit einerseits die intendierten, korrigierenden Effekte bei der Festsetzung und Verteilung variabler Vergütungsbestandteile erzielt werden können, andererseits jedoch der regulatorische Ansatz der Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit variabler Vergütungsanteile nicht konterkariert wird.
Wie so häufig hilft die Auslegungshilfe weiter, die zwar keinen rechtsverbindlichen Charakter hat, aber in der Praxis für jeden der mit der Ausgestaltung IVV-konformer Vergütungssysteme befasst ist, Pflichtlektüre und Handlungsrahmen zugleich ist. Die diesbezüglichen Ausführungen beziehen sich auf § 19 Abs. 2 IVV, also die risikoadjustierte Ermittlung der variablen Vergütung von Risikoträgern. Gleichermaßen zulässig und praxisrelevant ist es, einen Modifier bei der risikoadjustierten Festlegung des Bonusbudgets für alle Mitarbeiter (§ 7 IVV) festzulegen.
Gemäß Auslegungshilfe kann einem Institut hinsichtlich der Messung der Zielerreichung auf Grundlage quantitativer Vergütungsparameter für den Ausnahmefall ein eng begrenztes gebundenes Ermessen eingeräumt werden, den Wert der Zielerreichung auf Institutsebene um bis zu 20 Prozentpunkte nach oben oder nach unten zu korrigieren. Ein Modifier kann demzufolge in Ausnahmefällen unter den folgenden Voraussetzungen zur Anwendung kommen:
- Vorliegen einer unvorhersehbaren und nicht beeinfluss- oder beherrschbaren Veränderung des wirtschaftlichen Umfelds, in dem das Institut einschließlich seiner Mitarbeiter tätig ist,
- vereinbarte Ziele wurde aufgrund dieser Veränderung gänzlich, ohne eigenes Zutun der Mitarbeiter erreicht oder vollständig ohne eigenes Verschulden verfehlt und
- die Ziel(über)erreichung oder vollständige Zielverfehlung muss ausschließlich vollständig auf diese Veränderung zurückzuführen sein.
Anforderungen hoch
Die Anforderungen sind also hoch, insbesondere bzgl. des darzulegenden Kausalzusammenhang zwischen Ereignis und Zielerreichung bzw. Verfehlung sowie bzgl. des Nachweises, dass die Zielerreichung oder Verfehlung vollständig außerhalb der Einflusssphäre der Mitarbeiter des Instituts lag.
Als Beispiele für die unerwartete Ziel(über)erreichung führt die BaFin Windfall Profits (Zufallsgewinne) auf, die etwa bei der Hebung stiller Reserven oder im Rahmen von Unternehmenstransaktionen anfallen können. Allerdings wird man auch in diesen Fällen die oben genannten Nachweise konkret führen müssen, um sich regulatorisch unangreifbar zu machen. Für den gegenteiligen Fall, der unverschuldeten vollständigen Zielverfehlung nennt die BaFin die Beispiele eines Ergebnisrückgangs wegen Reputationsverlusts der gesamten Branche durch Skandal bei einem Mitbewerber oder extreme Naturkatastrophen. Die Corona-Pandemie, die von dem deutschlandweit bekanntesten Virologen, Professor Christian Drosten, als „Naturkatastrophe, die in Zeitlupe abläuft“, bezeichnet wurde, dürfte einen solchen Ausnahmentatbestand vergleichsweise einfach begründen lassen. So wird sich in vielen Fällen zweifelsfrei nachweisen lassen, das bereits geplante Investments nicht oder nicht in geplantem Umfang getätigt werden konnten und dieses Hindernis und die damit einhergehende Zielverfehlung ausschließlich auf die Corona-Pandemie zurückzuführen war.
Transparente und detaillierte Ausgestaltung wichtig
Die Voraussetzungen für die Gewährung überobligatorischer variabler Vergütung für das Geschäftsjahr 2020 sind daher grundsätzlich gut, sofern ein Modifier im Vergütungssystem und den Organisationsrichtlinien bereits angelegt war und die Voraussetzungen hinreichend transparent und konkret beschrieben wurden. Dabei sind laut BaFin möglichst viele Beispiele anzuführen, anhand derer ein anderes unvorhergesehenes Ereignis später gemessen und kategorisiert werden kann. Des Weiteren darf der Modifier nicht für verschiedene Mitarbeitergruppen unterschiedlich wirken, sondern muss einheitlich zur Anwendung gebracht werden.
Durch die Corona-Pandemie ist das Thema Modifier in den Blickpunkt geraten. Institute, die von diesem Instrument bisher keinen Gebrauch gemacht haben, werden sich überlegen, ob sie dieses Flexibilisierungsinstrument in Zukunft nutzen wollen. Bei der Implementierung eines Modifiers sind neben den genannten regulatorischen Anforderungen auch die arbeitsrechtlichen Anforderungen an Transparenz und Angemessenheit vergütungsrelevanter Regelungen zu beachten. D.h. auch die Bonussysteme und/oder individuellen Zielvereinbarungen sollten die Voraussetzungen für das Eingreifen eines Modifiers und den Umfang der sich daraus potenziell ergebenden Adjustierung des individuellen Bonusanspruchs hinreichend konkret beschreiben, um sie gegenüber den Mitarbeitern im Falle einer Anpassung nach unten durchsetzen zu können.